Jake Djones und die Huter der Zeit
allem hing der abgestandene Geruch von längst verstaubten Duftschalen.
»Ach, du meine Güte«, murmelte sie und lieà den Blick durch den Raum schweifen. »Das ist ja die reinste Gruft.«
Rose ging hinüber zum Schreibtisch und durchsuchte vorsichtig einen Stapel perfekt Kante auf Kante ausgerichteter Papiere. Die untersten beiden zog sie heraus, damit Galliana sie auf Fingerabdrücke überprüfen konnte. Sie steckte die zwei Dokumente gerade in ihre Tasche, da entdeckte sie etwas, bei dessen Anblick ihr Herz einen Schlag lang aussetzte: Auf dem Schreibtisch stand eine kleine gläserne Dose mit goldenen Scharnieren und einem wunderschön verzierten Deckel; aber es war nicht die Dose, die ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, sondern deren Inhalt â eine getrocknete Rosenblüte, unverkennbar mit ihren weiÃen und roten Tupfen. Unten an der Dose befand sich eine winzige Schublade. Rose öffnete sie und zog ein paar handgeschriebene Notizzettel daraus hervor. Keuchend lieà sie sich auf einen Stuhl sinken.
Im Prunksaal war das Fest in vollem Gang. Nach dem Dinner waren alle Tische zur Seite geschoben worden, um Platz zum Tanzen zu schaffen, und das Orchester legte los. Es spielte die beliebtesten Tanzmelodien der 1820er-Jahre, von der Regency-Quadrille über den ausgelassenen Danse Espagnole bis hin zum für die damalige Zeit geradezu rasend schnellen Walzer, und dementsprechend ausgelassen war die Stimmung.
Mitten hinein in dieses fröhliche Tohuwabohu stolperte Rose Djones mit aschfahlem Gesicht. Sie umrundete die Tanzfläche, wich Norland aus, der so exaltiert mit der Bibliothekarin Lydia Wunderbar tanzte, dass man befürchten musste, die beiden könnten sich verletzen, und ging direkt auf Galliana zu.
»Hier. Das ist für die Fingerabdrücke«, sagte sie und reichte ihr die beiden Dokumente, die sie aus Jupitusâ Büro entwendet hatte.
»Hast du sonst noch was gefunden?«, fragte Galliana, ohne ihre Komplizin anzusehen.
»Ich habe jede einzelne Schublade durchsucht: nichts.«
»Rose? Gehtâs dir auch gut? Du siehst blass aus.«
»Nein, mir gehtâs ganz und gar nicht gut«, erwiderte sie mit gerunzelter Stirn. »Ich habe etwas anderes gefunden, das mich ziemlich beunruhigt. WeiÃt du noch, wie ich vor Jahren, als ich noch auf Mont Saint-Michel lebte, eine Weile lang versucht habe, eine neue Rosenart zu züchten? Ist nur ein einziges kümmerliches Pflänzchen dabei rausgekommen, das ganze drei Wochen durchgehalten und danach nie wieder geblüht hat. Die Blüten waren rot und weià getupft«, erklärte sie wie in Trance. »Eine davon habe ich in Jupitusâ Suite gefunden, getrocknet und aufbewahrt in einer Glasdose.«
Galliana warf Rose einen fragenden Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf die Tanzenden.
»Und nicht nur das«, sprach Rose weiter. »In der Dose waren auch alte Notizzettel von mir: Einkaufslisten, Memos, belanglose Kritzeleien, die er nur aus meinem Mülleimer gestohlen haben kann.« Ihre Stimme hatte sich mittlerweile zu einem nervösen Tremolo aufgeschwungen.
»Meine gute Rose, unser Mister Cole ist eindeutig verliebt in dich.«
»Red keinen Quatsch«, gab Rose barsch zurück. »Wir hassen uns.«
Eine halbe Stunde später ereilte sie der zweite Schock des Abends. Rose war gerade auf dem Weg zur Bar, um ihre überstrapazierten Nerven mit einem Glas Rumpunsch zu beruhigen, als sie eine leise Stimme hinter sich hörte:
»Der Spion. Ich bin es nicht.«
Rose drehte sich um und schaute einem äuÃerst ernst dreinblickenden Jupitus Cole ins Gesicht. »Verzeihung?«, erwiderte sie unschuldig.
»Ich weiÃ, dass Sie in meiner Suite waren. Ich war selbst soeben dort und habe Ihr Parfüm gerochen. Glauben Sie mir oder glauben Sie mir nicht â es ist ganz gleich â, aber wenn Sie versuchen, den Doppelagenten in unseren Reihen aufzuspüren, sollten Sie Ihre Zeit besser auf jemand anderen verwenden.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz â¦Â«, stammelte Rose.
»Tun Sie nicht so«, erwiderte Jupitus und fixierte sie mit kaltem Blick. »Wenn Sie wirklich etwas über diese Angelegenheit in Erfahrung bringen wollen, folgen Sie mir.« Mit diesen Worten drehte er sich um und marschierte schnurstracks aus dem Saal hinaus.
Einen Moment lang stand Rose nur verdattert da. Ihr Blick schoss verstohlen von
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