Jakob der Luegner
Öffnen der Tür. Er entscheidet sich für heute, eine kleine Pointe extra für Frankfurter, er steht auf, tut geziert, er weiß selbst nicht, ob es gespielt ist oder echt, er sieht Frankfurter verlegen an, der wundert sich schon über den langen Anlauf, und bittet ihn in aller Form um die Hand seiner Tochter.
Rosa entdeckt etwas an ihrem Fingernagel, das sie mit Haut und Haaren beschäftigt, etwas so Wichtiges, daß ihr Gesicht rot wird und anfängt zu glühen, sie haben vorher kein Sterbenswort davon gesprochen, und eigentlich gehört es sich wohl so. Frau Frankfurter beugt sich tiefer über das Hemd, das noch längst nicht klein genug ist, die meiste Arbeit macht der Kragen, weil auf genauesten Sitz großer Wert gelegt wird. Mischa genießt seinen Einfall, gelungen oder nicht gelungen, Frankfurter ist verblüfft und wird etwas sagen. Er ist dran mit einem Wort, eine höfliche Frage verdient eine Antwort, und wenn die Frage noch so abwegig ist, wie es vorerst scheint, er wird eine Brücke bauen zu der großen Neuigkeit, und das wird auch gleichzeitig die Erklärung sein, warum erst jetzt. Das ist Mischas Plan, in größter Eile entworfen und gar nicht so schlecht, Felix Frankfurter wird eine Brücke bauen, er ist an der Reihe, alle warten auf Antwort.
Großes Erstaunen also bei Frankfurter, Ungläubigkeit in den Augen, er hat eben noch an der Pfeife gezogen und vergessen, den Rauch wieder auszublasen. Der Vater, der seine einzige Tochter keinem anderen geben würde als Mischa, er liebt ihn doch schon wie den eigenen Sohn, der Mann der Realitäten, dem man nichts vormachen kann, ist erschlagen.
»Er ist verrückt geworden«, flüstert er, »die Not hat ihn verwirrt, das sind diese gottverfluchten Zeiten, wo ganz normale Wünsche wie Ungeheuerlichkeiten klingen. Sag du doch etwas dazu!«
Doch Frau Frankfurter sagt nichts dazu, sie läßt ein paar Tränen lautlos auf das Hemd tropfen, sie weiß ja nichts zu sagen, alle wichtigen Fragen hat bis jetzt immer nur ihr Mann entschieden.
Frankfurter nimmt den Spaziergang wieder auf, innere Bewegung, und Mischa sieht so guter Hoffnung aus, als könnte jetzt nur kommen: »Nimm sie und werdet glücklich.«
»Wir sind im Ghetto, Mischa, weißt du das? Wir können nicht tun, was wir wollen, denn sie machen mit uns, was sie wollen.
Soll ich dich fragen, was für Sicherheiten du zu bieten hast, denn sie ist meine einzige Tochter? Soll ich dich fragen, wo ihr eure Wohnung zu nehmen gedenkt? Soll ich dir sagen, was für eine Mitgift Rosa von mir bekommt? Das wird dich doch bestimmt interessieren? Oder soll ich dir ein paar Ratschläge geben, wie man eine glückliche Ehe führt und dann zum Rabbiner gehen und fragen, wann es ihm am besten paßt mit der Chassene? … Zerbrich dir lieber den Kopf, wo du dich verstecken wirst, wenn sie dich holen kommen.«
Mischa schweigt zuversichtlich, das war schließlich noch keine Antwort.
»Hört euch das an! Sein Schiff ist untergegangen, er schwimmt mitten auf dem Meer, weit und breit kein Mensch, der ihm hilft. Und er überlegt, ob er abends lieber ins Konzert geht oder in die Oper!«
Die Arme sinken herunter, alles was zu sagen ist, hat Frankfurter gesagt, sogar eine kleine Allegorie am Ende gefällig, deutlicher braucht man nicht zu werden.
Aber Eindruck auf Mischa gemacht hat er nicht. Im Gegenteil, es ist alles nach Wunsch gelaufen. Weit und breit keine Hilfe, auf so ein Sätzchen hat Mischa bloß gelauert, gleich werdet ihr wissen, wie es wirklich aussieht. Es hat schon einen Sinn, von der Zukunft zu reden, Mischa ist doch kein Idiot, natürlich weiß er, wo wir hier sind, natürlich weiß er, daß man nicht heiraten kann bis, und darum geht es eben, bis die Russen kommen.
Mischa zu mir: »Da habe ich ihnen einfach gesagt (wortwörtlich: einfach), daß die Russen zwanzig Kilometer vor Bezanika sind. Verstehst du, es war nicht bloß eine Mitteilung, es war jetzt auch ein Argument. Ich hab mir vorgestellt, sie würden anfangen zu jubeln, so was erfährt man ja nicht alle Tage. Aber Rosa ist mir nicht um den Hals gefallen, sie dachte überhaupt nicht daran, sie hat fast erschrocken den Alten angesehen, und der hat mich angesehen, lange hat er kein Wort gesagt, mich bloß angesehen, daß ich schon unruhig geworden bin. Im ersten Moment hab ich gedacht, sie brauchen vielleicht etwas Zeit, um es zu begreifen, wie mich der Alte so angesehen hat, aber dann war mir klar, daß sie keine Zeit brauchen, sondern Gewißheit. Es ist mir doch
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