Jakob der Luegner
sagt sie. »Du bist ungerecht zu ihm. Es ist doch schön, daß wir es wissen. Alle sollten es wissen.«
»Weiberverstand!« sagt Frankfurter wütend. »Heute weißt du es, morgen wissen es die Nachbarn, und am nächsten Tag spricht das ganze Ghetto von nichts anderem!«
Sie mag nicken, verwundert über seinen Zorn, so ist es, bis jetzt nichts von einem Grund, diesem Heym den leisesten Vorwurf zu machen.
»Und auf einmal weiß es die Gestapo!« sagt er. »Die haben mehr Ohren, als du glaubst.«
»Aber Felix«, unterbricht sie ihn, »denkst du im Ernst, die Gestapo erfährt nicht ohne uns, wo die Russen sind?«
»Wer redet denn davon! Ich meine, auf einmal weiß die Gestapo, daß im Ghetto ein Radio ist. Und was machen die? Sie stellen sofort jede Straße auf den Kopf, Haus für Haus, sie geben nicht eher Ruhe, bis sie das Radio gefunden haben.
Und wo finden sie eins?«
Der Berg ist abgetragen, Frankfurter hebt einen Pappkarton auf, einen weißen oder braunen, jedenfalls einen Pappkarton, in dem sich der Grund für ein gerechtes und rechtskräftiges Todesurteil befindet. Er nimmt den Deckel ab und zeigt seiner Frau das Radio.
Sie schreit vielleicht leise auf, sie ist vielleicht entsetzt, bestimmt erschrocken, sie starrt das Radio an und ihn und versteht es nicht.
»Du hast unser Radio mitgenommen«, flüstert sie und faltet die Hände. »Du hast unser Radio mitgenommen, man hätte uns alle dafür erschießen können, und ich habe nichts davon gewußt … Ich habe nichts gewußt …«
»Wozu?« sagt er. »Wozu hätte ich es dir sagen sollen? Ich habe alleine schon genug gezittert, und du hast ohne Radio auch genug gezittert. Es gab Tage, da hatte ich es vergessen, ganz einfach vergessen, manchmal sogar wochenlang. Man hat eben ein altes Radio im Keller und denkt nicht mehr dran. Aber sooft ich mich erinnert habe, ist mir das Zittern gekommen, und so wie heute bin ich noch nie daran erinnert worden. Doch das schlimmste ist, ich habe nie gehört, nicht ein einziges Mal, auch nicht in der ersten Zeit. Nicht, damit du es nicht merken solltest, ich habe es einfach nicht gewagt.
Manchmal wollte ich, ich habe es vor Neugier fast nicht ausgehalten, ich habe den Schlüssel genommen, und du weißt, daß ich von Zeit zu Zeit in den Keller gegangen bin. Du hast mich gefragt, was ich dort will, und ich habe dir gesagt, ich will mir Bilder ansehen oder die alten Kritiken durchlesen.
Aber das war gelogen, ich wollte Radio hören. Ich bin in den Keller gegangen, habe die Tür verhängt, aber ich habe es nicht gewagt. Ich habe mich hingesetzt, die Bilder angesehen oder die Kritiken gelesen, wie ich es dir gesagt hatte, und es nicht gewagt.
Aber damit ist jetzt Schluß!«
»Ich habe nichts gewußt«, flüstert sie vor sich hin.
»Damit ist ein für allemal Schluß!« sagt er. »Du hast damals recht gehabt, es war unnützes Zeug, ich brauche es nicht mehr.
Nichts wird davon übrigbleiben, nichts, was nach Radio aussieht. Dann sollen sie kommen und suchen.«
Er nimmt das Radio auseinander, Teil für Teil, wahrscheinlich das einzige Radio, das sich in unserer Hand befindet, ohne lautes Aufsehen zerstört er es. Die Röhren werden zu Staub zertreten, ein unzerstörbarer Draht wird als harmlose Schnur um eine Schachtel gewickelt, die Bretter des Kastens werden Stück für Stück zur Seite gelegt und müssen noch einige Wochen warten, bis sie verbrannt werden dürfen.
Denn um diese Jahreszeit macht sich jeder rauchende Schornstein verdächtig, aber das ist nicht weiter tragisch, Holz ist schließlich Holz.
»Hast du auch gehört, daß die Russen fast in Bezanika sind?« fragt Frau Frankfurter leise.
Er sieht sie sehr verwundert an.
»Ich habe dir doch gesagt, daß ich nie gehört habe«, könnte er ihr geantwortet haben.
Mischa kommt mit Rosa in sein Zimmer, und das ist eine ganze Geschichte für sich. Wenn es eine Geschichte ist, wie jemand belogen werden muß, damit er ein bißchen glücklich sein kann, nichts anderes geschieht mit Rosa, wenn es eine Geschichte ist, wie verwegene Listen angewendet werden müssen, und Angst vor Entdeckung ist im Spiel, und kein Fehler darf um Himmels willen unterlaufen, und das Gesicht muß immer ernst und harmlos dabei bleiben, wenn alles das eine brauchbare Geschichte hergibt, dann ist es auch eine Geschichte, wie Rosa mit Mischa in sein Zimmer kommt.
Mitten im Raum steht eine spanische Wand.
Fajngold heißt der Mann, der im anderen Bett schläft, Isaak Fajngold ist schuld daran,
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