Jakob der Luegner
genauso gegangen, ich hab doch auch gedacht, daß Jakob mich bloß von dem Kartoffelwaggon ablenken will, so lange hab ich das doch gedacht, bis er mir die ganze Wahrheit gesagt hat, woher er es weiß. So eine Nachricht ohne die Quelle ist einfach nichts wert, eben bloß ein Gerücht. Ich will also schon den Mund aufmachen und ihnen die Zweifel nehmen, aber dann hab ich lieber gewartet. Sollen sie fragen, hab ich gedacht, wenn du etwas aus einem herausholst, dann geht es dir leichter in den Kopf, als wenn er es dir von alleine und in einem Stück erzählt.
Und genauso ist es auch gekommen.«
Endloses Schweigen also, die Nadel ist mitten im Stich stehengeblieben, Rosas heißer Atem, Frankfurters Augen, davor steht Mischa im Rampenlicht, und das Publikum hängt an seinen Lippen.
»Weißt du, was du da redest?« sagt Frankfurter. »Damit macht man keine Witze.«
»Das müssen Sie mir nicht sagen«, sagt Mischa. »Ich weiß es von Heym.«
»Von Jakob Heym?«
»Ja.«
»Und er? Woher weiß er es?«
Mischa lächelt schwach, tut verlegen, er zuckt miserabel mit den Schultern, was ihm keiner abnimmt, da gibt es irgendwo ein Versprechen. Daß er es nicht halten wird, ist eine zweite Sache, aber das Versprechen ist nun einmal gegeben, und man möchte wenigstens gezwungen werden, es zu brechen, man will sein Möglichstes getan haben, du hättest an meiner Stelle auch nicht anders gekonnt.
»Woher er das weiß!«
»Ich habe ihm versprochen, es keinem zu erzählen«, sagt Mischa, eigentlich schon bereit, es doch zu tun, aber nicht deutlich genug bereit, jedenfalls für Frankfurter nicht deutlich genug. Es ist nicht die Zeit, auf Nuancen in der Stimme zu achten, Frankfurter geht zwei, drei schnelle Schritte nach vorne und gibt Mischa eine Ohrfeige, ein Mittelding zwischen einer vom Theater und einer echten, aber eher wohl echt, denn Empörung ist dabei, wir reden hier nicht, um uns die Zeit zu vertreiben.
Natürlich ist Mischa ein bißchen erschrocken, soviel Zwang war auch wieder nicht nötig, aber er kann jetzt nicht gekränkt sein, irgendeine Form mußte der Zwang ja annehmen. Er kann sich nicht hinsetzen mit starrem Gesicht, die Arme vor der Brust verschränkt und auf Entschuldigung warten, da könnte er lange warten. Er kann, und das tut er, alle Zweifel beseitigen, es ist soweit, der Plan ist aufgegangen, keiner wird mehr fragen, warum erst jetzt.
»Jakob Heym hat ein Radio.«
Noch ein wenig Schweigen, ein paar Blicke untereinander, das immer noch zu große Hemd schwebt unbeachtet auf die Erde, man darf es glauben, wenn der eigene Schwiegersohn es sagt.
Endlich fällt ihm Rosa um den Hals, lange genug hat er darauf gewartet, über ihre Schultern hinweg sieht er, wie Frankfurter sich erschöpft setzt und die Hände vor das faltige Gesicht schlägt. Ein Gespräch wird nicht aufkommen, es gibt nichts zu sagen, Rosa zieht sein Ohr an ihren Mund und flüstert. Er versteht nicht, der Alte hat noch die Hände vor dem Gesicht, und Mischa sieht sie fragend an.
»Komm, wir gehen zu dir«, flüstert Rosa noch einmal.
Eine glänzende Idee, sie nimmt Mischa das Wort aus dem Mund, heute überschlagen sich die guten Einfälle. Sie gehen unnötig leise hinaus, die Tür fällt ins Schloß, niemand hört es, draußen wird es schon gefährlich dunkel.
Dann ist Frankfurter mit seiner Frau alleine, ohne Zeugen.
Ich weiß bloß, wie es ausgegangen ist, ich kenne nur das Resultat, nichts dazwischen, aber ich kann es mir nur so oder ähnlich vorstellen.
Die Frau steht endlich auf, irgendwann. Sie wischt sich die Tränen weg, nicht mehr die vom Heiratsantrag, oder sie wischt sie nicht weg, sie geht zu ihrem Mann, leise, als wollte sie ihn nicht stören. Sie stellt sich hinter ihn, legt ihm die Hände auf die Schultern, sie bringt ihr Gesicht dicht an seins, das noch immer von den Händen verdeckt wird, und wartet. Nichts geschieht, auch als seine Arme heruntersinken nichts, er starrt auf die gegenüberliegende Wand, und sie stößt ihn leicht an. Sie sucht etwas in seinen Augen und kann es nicht finden.
»Felix«, könnte sie nach einer Weile leise gesagt haben, »freust du dich denn nicht? Bezanika ist doch nicht so unendlich weit.
Wenn sie bis dort gekommen sind, dann kommen sie doch auch bis zu uns.«
Oder sie könnte gesagt haben: »Stell dir vor, Felix, wenn das wahr ist! Mir dreht sich der Kopf, stell dir das doch bloß vor!
Nicht mehr lange, und alles wird wieder sein wie früher. Du wirst wieder spielen können, auf
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