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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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habe nichts gegen sie, nicht das geringste. Sie sind mir ausgesprochen sympathisch, sie werden nicht bei uns wohnen, und jetzt will ich schlafen!«
    Er dreht sich mit Schwung auf die andere Seite, eine kleine Demonstration im Mondlicht, die erste Unstimmigkeit ist da.
    Noch kein richtiger Streit, nur eine Ankündigung von alltäglichen Sorgen, es vergehen ein paar stille Minuten, in denen Mischa feststellt, daß Fajngold aufgewacht ist.
    »Mama könnte sich um die Kinder kümmern«, sagt Rosa.
    »Omas verziehen die Kinder bloß«, sagt Mischa.
    »Und kochen kann ich auch nicht.«
    »Es gibt Bücher.«
    Jetzt seufzt sie, zanken wir uns später, es ist noch so viel Zeit.
    Rosa muß den Kopf ein wenig anheben, weil er den verträglichen Arm darunterschiebt, noch ein Kuß zum Versöhnen, und dann soll endlich geschlafen werden. Aber sie kann nicht einfach die Augen zumachen und weglaufen, was sie sieht, das sieht sie, wie lange haben wir auf diesen Blick gewartet. Wenn sie anklopfen, wenn sie in der Tür stehen, die Russen, guten Tag, da sind wir, es kann losgehen, dann ist es schon spät, da kann man nicht erst anfangen zu überlegen, da muß man doch schon wissen, was als erstes zu tun ist und was als zweites. Aber Mischa will schlafen, und Rosa kann es nicht, so viel ist in Unordnung, wenigstens einiges sollte man regeln.
    Die großen Dinge werden sich schon irgendwie erledigen, es werden sicher bedeutende Leute kommen, die darüber wachen, fangen wir mit dem persönlichen Kleinkram an, den nimmt uns niemand ab. Rosa gerät vom Nachdenken ins Flüstern, da wäre zunächst das Haus, in dem man sich wohl fühlen soll, es könnte auch etwas anderes sein als das Haus, wenn dir was einfällt, aber beginnen wir damit. Nicht zu klein, nicht zu groß, sagen wir fünf Zimmer, das ist nicht zuviel verlangt. Fang nicht gleich an zu schreien, soviel kann man verlangen, bescheiden waren wir lange genug. Ein Zimmer wäre für dich, eins für mich und zwei für die Eltern. Und ein Kinderzimmer natürlich, in dem sie machen können, was sie wollen, sich auf den Kopf stellen und die Wände bemalen. Schlafen würden wir bei mir, nicht extra ein Schlafzimmer, das ist verschenkter Platz, um den es tagsüber schade wäre, man muß auch ein bißchen praktisch denken.
    Wenn Gäste kommen, könnten wir in deinem Zimmer sitzen, ein frei im Raum stehendes Sofa, das ist modern, ein länglicher Tisch davor und drei oder vier Sessel. Aber zu viele Gäste will ich nicht haben, damit du das gleich weißt. Nicht wegen der Unordnung, die sie machen, die ist kein großes Problem, aber ich bin lieber alleine mit dir. Vielleicht wenn wir etwas älter sind. Und in die Küche darf mir sowieso niemand hineinreden.
    Sie muß gekachelt sein, das ist sauber und schön, blau und weiß wäre am allerbesten. Die Klosenbergs haben so eine Küche gehabt, genauso eine wie die, eine schönere kann man sich nicht vorstellen. Der Fußboden ist ausgelegt mit hellgrauen Fliesen, an der Wand sind Borde für Teller und Kannen und Kellen, und ein Brettchen muß auch da hängen, für alle möglichen Gewürze.
    Kein Mensch weiß, wieviele Gewürze es gibt, Safran zum Beispiel, hast du gewußt, wozu man Safran überhaupt nimmt?
    Daß er Kuchen und Nudeln gelb macht?
    Weiter weiß ich nicht, in dieser Gegend ist mein Gewährsmann Mischa endgültig eingeschlafen, mitten unter den Gewürzen. Vielleicht hätte mir Fajngold mehr erzählen können über diese eine Nacht, vielleicht hat er wach gelegen vom Keller bis zum Dachboden, aber ich habe ihn nicht gefragt.

    Dann ist es wieder Tag, endlich wieder Tag, wir laufen auf dem Güterbahnhof kreuz und quer mit unseren Kisten, wenige Jahre früher hätte man es ein munteres Treiben genannt. Die Wachen benehmen sich ganz normal, sie schreien oder dösen oder stoßen wie immer, sie zeigen keine Angst oder kennen sie noch nicht. Mag sein, daß ich mich täusche, aber ich bilde mir ein, daß ich selbst mich an diesen Tag gut erinnern kann, obwohl sich nichts Ungewöhnliches an ihm zugetragen hat, jedenfalls nicht für mich. Ich stehe heute, glaube ich, auf einem Waggon und habe die Kisten entgegenzunehmen und so zu stapeln, daß möglichst viele hineingehen. Zusammen mit einem anderen Mann, mit Herschel Schtamm, und das ist an und für sich doch etwas Besonderes. Denn Herschel Schtamm hat einen Bruder, nicht nur das, er hat einen Zwillingsbruder, Roman, und die beiden arbeiten und stehen und gehen gewöhnlich immer zusammen. Aber heute

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