Jakob der Luegner
allerdings noch eine zweite Sorge gegeben, denn er hat einigen Andeutungen Fajngolds entnommen, daß er sie einmal belauscht hat. Rosa hat zwar nichts gemerkt, Fajngold hat den Mund gehalten, aber er muß dieses und jenes gehört haben, was nicht für seine Ohren bestimmt war. Wenn man sich in den Armen hält, werden doch allerhand Worte gesagt, die nicht für andere Ohren bestimmt sind, und es war Mischa sehr peinlich. Seitdem hat er Fajngolds Schlaf studiert, lange hat er mit voller Absicht wach gelegen und auf die Tonlage des Atmens und des Schnarchens geachtet. Kein Mensch hat sich je selbst schlafen hören, er kann seinen eigenen Schlaf nicht imitieren, er kann nachmachen, wie man schläft, aber von seinem eigenen Schlaf weiß er nichts. Und Mischa weiß, wie Fajngolds Schlaf sich anhört, er könnte seine Hand dafür ins Feuer legen, sagt er, daß er es genau weiß. Und in den seltenen Nächten, wenn Rosa bei ihm ist, liegt Mischa an jedem Anfang lauschend neben ihr, und erst wenn er ganz sicher ist, daß Fajngold hinter der spanischen Wand schläft, beginnt er sie zu streicheln und zu küssen, und Rosa vergißt ihre Enttäuschung, warum er sie so lange warten läßt.
Einmal ist etwas Entsetzliches geschehen, mitten im Schlaf, in einen wirren Traum geraten, hat Fajngold plötzlich angefangen zu reden. Deutlich vernehmbare einzelne Worte, ungeachtet der Tatsache, daß Taubstumme auch im Schlaf taubstumm zu sein haben. Mischa ist davon aufgewacht, das Herz ist ihm fast im Leibe stehengeblieben, er hat furchtsam zu Rosa geblickt, die im Mondlicht lag und schlief und nur den Kopf von einer Seite auf die andere drehte. Er konnte nicht rufen: »Fajngold, halte endlich deinen Mund!« Er konnte nur still liegen und hoffen, und zum Glück hat Fajngold mit seinem Phantasieren aufgehört, bevor Schlimmes geschehen war, Träume dauern nur Sekunden, sagt man, und es hat sich nie mehr wiederholt.
Soweit das winzige Lustspiel, alles in allem verwegene Wege also, die Rosa in dieses Zimmer geführt haben, bis unter diese Decke, nicht nur die Straße geradeaus und dann einmal links und einmal rechts um die Ecke. Mischa hat es möglich gemacht, Fajngold hat sich zur Verfügung gestellt, Rosa ist sehr gerne hier.
Sie liegt auf dem Rücken, weiß ich, die Hände unter dem Kopf, heute wie immer, wenn das auch ein bißchen unverschämt ist, denn das Bett hat mit einem Kerl wie Mischa mehr als genug, er muß sich am Rande bescheiden. Sie liegt da, die Augen irgendwo, der Abend, der schöner war als alle anderen, ist schon vorbei, man hat sich schon alles ins Ohr geflüstert. Obwohl Fajngold taubstumm ist, flüstern sie immer, wenn zwei so liegen wie Rosa und Mischa, dann flüstern sie auch auf einsamen Inseln, wenn unbedingt etwas gesagt werden muß. Soweit ist die Nacht, der schweigsame Fajngold schläft schon lange hinter der Wand aus Schrank und Tuch. Der heiße Tag und die Nachricht müssen ihn sehr mitgenommen haben, er war heute nur ein kurzes Hindernis, schon nach wenigen Minuten war Mischa mit dem Ton, der zu ihnen herüberdrang, zufrieden und konnte seine ganze Aufmerksamkeit an Rosa verschwenden.
Rosa stößt Mischa sanft an, mit dem Fuß an seinen Fuß, mit viel Ausdauer tut sie es, bis er wach genug ist, um sie zu fragen, was denn los wäre.
»Meine Eltern werden doch bei uns wohnen?« sagt sie.
Die Eltern. Noch nie waren sie bis in dieses Zimmer vorgedrungen, es hatte immer nur die eine Nacht gegeben, in der man gerade lag und sich liebte, die eine und keine andere, alle folgenden mußten erst abgewartet werden, und es lohnte nicht, groß über sie zu reden. Aber nun sind sie da, laß uns einen kurzen Blick werfen auf das, was einmal sein kann, ein kleines Auge voll nur durch das Loch im Vorhang.
Die Eltern sind da und eine Ahnung von später, sie lassen sich nicht hinauswerfen, Rosa besteht darauf.
»Sie werden nicht bei uns wohnen«, sagt Mischa zu nachtschlafener Zeit.
»Und warum nicht? Hast du was gegen sie?«
Rosa wird lauter, hier geht es nicht um Dinge, die unbedingt ins nahe Ohr zu hauchen sind, so aufsässig laut vielleicht, daß Fajngold aufwachen könnte, sie ahnt nur nichts von dieser Gefahr.
»Lieber Himmel, ist das denn so wichtig, daß du mich mitten in der Nacht aufwecken mußt?«
»Ja«, sagt Rosa.
Also gut, er stützt sich auf die Ellbogen, sie kann stolz darauf sein, daß sie ihm endgültig den Schlaf vertrieben hat, er seufzt, als ob das Leben nicht schwer genug wäre.
»Also gut: Ich
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