Jakob der Luegner
zusammen. So still ist es lange nicht mehr zugegangen zwischen ihnen, die Kisten kommen Jakob eine Kleinigkeit leichter vor, seit ihn Kowalski und die anderen nicht mehr mit Fragen überschütten, Kowalski vermutlich schwerer, seit die Antworten fehlen, das Gewicht ist, wie man sieht, keine absolute Größe. Die letzte Frage war, ob in Jakobs Haus das Licht, Gott behüte, auch ausgefallen ist, Jakob hat schlicht und wahrheitsgemäß mit Ja geantwortet, er war ganz glücklich, nach langer Zeit wieder die lautere Wahrheit sagen zu dürfen, und seitdem ist es ruhig um ihn wie um irgendeinen. So wird es bleiben, bis der Strom wieder fließt, da soll sich keiner über Jakobs Gelassenheit wundern.
Als die Pfeife zur Suppe ruft, setzen sie sich nebeneinander in die Sonne, Kowalski seufzt und löffelt und seufzt, das kommt nicht von der Suppe, die nicht besser und nicht schlechter schmeckt als alle Tage. In letzter Zeit hat Jakob Kowalskis Nähe fürchten gelernt, Kowalski war der emsigste unter den Wißbegierigen, er hat ihn nicht essen und nicht schlafen lassen, er hat Jakob nur als Vehikel seiner Neugier benutzt, ohne Erbarmen. Aber heute kann seine Nähe Jakob nicht schrecken, Fragen wären vergeudete Worte, die Sonne scheint, man sitzt friedlich und stumm nebeneinander und ißt, und irgendwo in der Ferne nähern sich Stalins Soldaten mit unbekannter Geschwindigkeit.
»Was meinst du, wie lange das noch dauern kann mit der Stromsperre?« fragt Kowalski.
»Hoffentlich zwanzig Jahre«, sagt Jakob.
Kowalski sieht gekränkt aus seiner Schüssel auf, das ist keine Antwort unter Freunden. Sicher waren die letzten Tage nicht leicht für Jakob, die einzige Verbindung nach draußen, die keiner ungenutzt lassen wollte, man hat dich bestürmt und gelöchert, und ganz ungefährlich war es auch nicht, aber stößt man sich in unserer Lage an so einem bißchen zusätzlicher Mühe? Wer hätte an deiner Stelle anders gehandelt, suche ihn unter uns, und du wirst ihn nicht finden, und da kriegt man auf seine bescheidene Frage so häßliche Worte zu hören.
»Warum bist du so gehässig?« fragt Kowalski.
»Darauf kommst du nie«, sagt Jakob. Kowalski zuckt mit den Schultern und ißt weiter, heute kann man mit Jakob nicht reden, vielleicht ist er schlecht aufgelegt, an manchen Tagen war er eigentlich schon immer unbegreiflich streitsüchtig. Wenn man in seine ungemütliche Diele gekommen ist, damals, man ist bester Laune reingegangen und hat sich an einen der vielen freien Tische gesetzt und hat Jakob ganz normal gefragt, wie die Geschäfte gehen, wie man eben so fragt, da konnte es einem passieren, daß er nicht normal geantwortet hat, die Geschäfte gehen so und so, wie man es von einem erwachsenen Menschen erwartet, sondern er hat einen angefahren: »Frag nicht so dämlich, du brauchst dich ja bloß umzusehen!«
Nicht ganz zufällig bekommen Kowalski und Jakob Gesellschaft, Mischa setzt sich neben sie, und er bringt Schwoch mit, den Juniorpartner von Lifschitz & Schwoch, Stempelkissen en gros und en détail. Zuerst glaubt Jakob, sie setzen sich hin, einfach weil hier noch Platz ist, Sonne und ein unbeobachtetes Fleckchen, bis er entdeckt, daß sie sich immerzu ansehen, Mischa aufmunternd und Schwoch unentschlossen. Da weiß er, daß es doch kein Zufall ist, irgendeine unbekannte Größe ist im Spiel, er hat gelernt, auf feinste Nuancen zu achten. Mischas Blicke bedeuten »na rede schon endlich«, und Schwochs Blicke bedeuten »nein, rede du lieber«, und als das Geblicke überhaupt kein Ende nehmen will, sagt Jakob zwischen zwei Löffeln: »Ich höre.«
»Wir haben da eine Idee, Jakob«, sagt Schwoch.
So weit, so gut, für eine ordentliche Idee findet sich immer Verwendung, gute Ideen sind wie die Luft zum Atmen, laßt hören, was euch eingefallen ist, dann werden wir weitersehen.
Aber Schwoch schweigt sich aus nach seinem schüchternen Anlauf, er blickt wieder zu Mischa, und seine Augen sprechen:
»Rede du lieber.«
»Die Sache ist die«, sagt Mischa. »Wir haben uns gedacht, wenn der Strom nicht zum Radio kommt, dann muß das Radio eben zum Strom.«
»Willst du mir Rätsel aufgeben?« fragt Jakob beunruhigt, wo doch nichts Rätselhaftes an Mischas Worten ist, sie bedeuten nicht mehr und nicht weniger, als daß in irgendeiner Straße in diesem Ghetto das Licht noch brennt, gleich wird man hören, in welcher, der gesunde Menschenverstand kann sich leicht einen Reim darauf machen.
»Bei Kowalski in der Straße ist Strom«,
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