Jakob der Luegner
sagt Kowalski. »Daß im Ghetto ein Radio ist, das wissen inzwischen viele, aber wer hat schon eine Ahnung, daß es bei Jakob steht?
Wir hier auf dem Bahnhof und höchstens noch seine Nachbarn.
Wenn bis jetzt alles gutgegangen ist, das heißt, wenn die Deutschen bis jetzt keinen Schimmer haben, dann müssen in Jakobs Haus anständige Leute wohnen. Aber woher wollt ihr wissen, daß es in meinem Haus genauso ist? Ich wohne mit drei Mann zusammen, wer kann euch garantieren, daß nicht über mir oder neben mir oder unter mir ein Verräter steckt oder ein Feigling? Und er hat nichts Eiligeres zu tun, als zur Gestapo zu rennen und zu erzählen, was er weiß?«
Eine lange Pause, Kowalskis Worte werden gemessen und gewogen, und Schwoch sagt leise: »Scheiße, er hat recht.«
Und Mischa zuckt unentschlossen mit den Schultern, und Jakob steht auf und sagt: »Wenn ihr meint …«
»Habt es doch nicht so gefährlich eilig, Kinder«, sagt Kowalski, »der Strom wird irgendwann schon wieder kommen.
Wenn nicht morgen, dann eben übermorgen. Und dann kann uns Jakob immer noch rechtzeitig genug sagen, wo sie inzwischen sind.«
Als die Pfeife wieder zur Arbeit ruft, ist der Plan von Mischa und Schwoch erledigt und begraben. Man hat ihn ausführlich durchgesprochen, wie es sich unter intelligenzbegabten Wesen gehört, man hat seine schwachen Punkte ans Licht geholt, und er hat das Licht nicht ausgehalten. Es wäre ganz schön gewesen, schade darum, aber ein heller Kopf hat uns die Augen geöffnet.
Schwoch und Mischa stellen ihre leeren Schüsseln auf den Handwagen, sie sind fast die letzten, der Posten guckt schon ungeduldig und drohend.
Jakob und Kowalski sind wieder ein einsames Paar, beide um eine Sorge leichter, die Sache wäre ausgestanden.
»Einfälle haben die!« sagt Kowalski belustigt, mehr zu sich als zu Jakob, und schließt damit dieses Kapitel ab.
Lina steht faul in der Haustür und sieht zu Rafael und Siegfried, die auf der Bordsteinkante sitzen und leise miteinander reden, übertrieben leise und vorsichtig, will ihr scheinen, sooft jemand vorbeikommt, unterbrechen sie sich und blinzeln harmlos in die Sonne. Lina spitzt die Ohren vergeblich, ihre Zurückhaltung ist schnell geschmolzen, sie spaziert über den Damm, was die beiden Angeber so zu flüstern haben. Sie schnappt auf, wie Siegfried behauptet, daß nicht mehr viel Zeit bleibt, und Rafael sagt, daß sie zu Hause sagen, es könnte höchstens noch ein paar Tage dauern.
Dann ist sie entdeckt. Die beiden sehen sie gleichgültig an und warten mit unbewegten Gesichtern auf das Ende der Störung.
Aber da können sie lange warten, Lina geht nicht weiter, sie bleibt, wo sie ist und lächelt freundlich. Bis Rafael schließlich aufsteht.
»Komm. Was wir zu bereden haben, braucht die nicht zu hören«, sagt er.
Genau das ist auch Siegfrieds Meinung. Er richtet sich vor Lina in seiner ganzen Größe auf und kann ihr nicht verschweigen, daß sie Prügel kriegen würde, wenn sie nicht bloß ein mickriges Mädchen wäre. Lina nimmt die Drohung unbewegt hin, denn die beiden machen kehrt und verschwinden in ihrem Hauseingang, immerhin. Lina wartet noch ein paar Sekunden, Jakob, der ihr streng verboten hat, in fremde Häuser zu gehen, ist weit weg, und Lina steigt hinterher. Als sie den Kopf vorsichtig durch die Hoftür steckt, sieht sie eben noch, wie Siegfried und Rafael in den Schuppen treten, wo der Tischler Panno in gesegneter Zeit einmal seine Werkstatt leitete, es stinkt heute noch nach Leim. Das Schuppenfenster hat keine Scheiben mehr, Lina weiß das ohne Prüfung, sie war selbst dabei, als Rafael die letzte gleich mit dem ersten Wurf getroffen hat. Also werden ihr die finsteren Gedanken der zwei nicht lange verborgen bleiben, nicht bei ihr, sie schleicht auf Zehenspitzen unter das schwarze Fenster und hockt sich still auf die Erde.
Ihretwegen kann es jetzt losgehen.
»Höchstens, daß wir das Revier in die Luft sprengen«, hört sie Siegfrieds Stimme.
»Und wenn sie uns kriegen?« fragt Rafael.
»Mach dir bloß nicht die Hosen voll. Die Russen kommen ja bald, hast doch gehört. Außerdem können sie uns gar nicht kriegen, wenn wir sie sprengen, weil sie dann nämlich alle tot sind. Bloß vorher dürfen wir uns nicht kaschen lassen.«
Siegfried war schon immer ein Großmaul, Lina könnte auf der Stelle wetten, daß aus der Sache nichts wird.
»Ob uns der Oberste von den Russen was gibt, wenn wir’s schaffen?« fragt der gierige Rafael.
»Was denkst denn
Weitere Kostenlose Bücher