Jakob der Luegner
du! ’nen Orden, oder ’ne richtige Pistole, oder was zu essen!«
»Oder alles zusammen?«
»Bestimmt! Ist das vielleicht nichts? Zu Hause brauchen sie’s ja nicht zu erfahren.«
Diese und jene Sekunde herrscht Ruhe, sicher malen sich die beiden Dummköpfe aus, was die Russen alles aus ihren verschwenderisch gefüllten Taschen holen werden, um sie für ihre Heldentaten zu belohnen.
Plötzlich sagt Rafael betrübt: »Du … ’s geht nicht.«
»Warum?«
»Wo sollen wir denn Dynamit herkriegen? Wenn ich meine zwei Patronen leer mache, das reicht nie.«
»Ist ja wahr. Habt ihr sonst keins?«
»Nein.«
»Wir auch nicht.«
Lina lacht und hält sich die Hände vor den Mund, der kreischen möchte, es ist wirklich kaum zu glauben, wie dämlich zwei Bengels von zehn noch sein können.
Rafael hat eine neue Idee: »Weißt du was? Wir schließen sie einfach ein!«
»Wen?«
»Na die Gestapos! Wir schließen das Revier einfach zu.
Nachts schlafen sie alle, und da schließen wir sie ein. Die Türen sind mindestens so dick, und vor die Fenster haben sie selber Gitter gemacht, da kommen die nicht so schnell raus.
Und wenn dann die Russkis hier sind, haben wir sie alle auf einmal!« Rafael kriegt vor Aufregung kaum noch Luft.
»Wir haben aber keinen Schlüssel?«
»Finden wir«, sagt Rafael zuversichtlich. »In der Schublade von meinem Alten liegt ein Bund mit mindestens zwanzig Stück dran. Einer wird schon passen.«
»Gar nicht so schlecht«, brummt Siegfried. Man kann deutlich hören, wie er sich ärgert, daß nicht er auf diesen hervorragenden Einfall gekommen ist. Zu gerne würde er Rafis Plan schlechtmachen, aber der ist in Ordnung.
Da geht die Hoftür auf, die kleine Frau Bujok erscheint, sie hält nach ihrem mißratenen Sohn Ausschau, aber sie sieht ihn nicht, sieht nur Lina auf der Erde hocken und lächeln.
»Hast du Siegfried gesehen?«
Lina erschrickt ein wenig, sie war so vertieft, sie schaut zu Frau Bujok auf und gewinnt ihr Lächeln wieder. Das mickrige Mädchen klingt ihr im Ohr, man soll die Feste feiern wie sie fallen, Lina zeigt mit dem Daumen auf den Schuppen hinter sich. Frau Bujok sieht den Schuppen drohend an, steht noch ein Momentchen still, um tief Luft zu holen, dann schreitet sie hinein. Man hört ein nicht zu leises Klatschen, und man hört »aua!« und »wie oft soll ich dir noch sagen, daß du vor dem Fenster bleiben sollst!«, und noch ein Klatschen hört man, und »und du geh auch nach Hause, du Lümmel!«
Dann zieht Ruhe in den Hof, Lina steht auf und klopft sich den Rock sauber, die Vorstellung ist zu Ende. Frau Bujok kommt aus dem Schuppen, der Ärger hat sie rot angemalt, Siegfried hängt mit einer Hand an ihr, mit der anderen hält er sich die Backe. Wenigstens heult er nicht. Sie gehen schnell vom Hof, Siegfried sieht Lina nicht.
Lina geht auch zur Hoftür, sie hat es nicht eilig, eigentlich könnte sie noch bleiben, aber Rafael ist jetzt alleine, und da hat der Lauschposten seinen Wert verloren. Womöglich würde er sich sogar herablassen, jetzt mit ihr vorliebzunehmen, aber darauf pfeift sie, jetzt hat sie keine Lust mehr. Soll er selber sitzen und grübeln, welcher von den zwanzig Schlüsseln paßt, es wird ja doch nichts draus.
Sie geht also, in der Tür dreht sie sich noch einmal um, Rafael läßt sich viel Zeit.
»Ihr seid ganz schön dumm!« ruft sie über den Hof zum Schuppen und macht sich damit nicht gerade beliebt.
Und der Widerstand, wird man fragen, wo bleibt der Widerstand? Sammeln sich die Helden vielleicht in der Schuhfabrik oder auf dem Güterbahnhof, wenigstens einige?
Sind an der Südgrenze, die am unübersichtlichsten ist und darum am schwersten zu bewachen, dunkle Kanäle ausfindig gemacht worden, durch die sich Waffen ins Ghetto schmuggeln lassen? Oder gibt es in dieser elenden Stadt nur Hände, die genau das tun, was Hardtloff und seine Posten von ihnen verlangen?
Verurteilt sie, immer verurteilt uns, es hat nur solche Hände gegeben. Kein einziger gerechter Schuß hat sich gelöst, Ruhe und Ordnung sind streng gewahrt worden, nichts von Widerstand. Ich muß wohl sagen, ich glaube, daß es keinen Widerstand gegeben, hat, ich bin nicht allwissend, aber ich stelle meine Behauptung, wie man sagt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf. Wenn da etwas gewesen wäre, hätte ich es unbedingt merken müssen.
Ich hätte mitgemacht, das kann ich beschwören, man hätte mich nur zu fragen brauchen, und wenn es um Chanas willen gewesen
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