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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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verhindert hast, laß es um deiner selbst willen nicht zu. Laß die Deutschen nichts von dem Radio erfahren, dir ist bekannt, wozu sie fähig sind. Oder noch besser, wenn ich dir einen Vorschlag unterbreiten darf, vernichte dieses verfluchte Radio, es wäre die glücklichste Lösung.
    Bei solchem Stand der Dinge beginnt plötzlich die Glühbirne unter der Decke zu flackern, Herschel achtet zuerst nicht darauf, aber dann sieht er mit geweiteten Augen nach oben, blitzartig wird er erleuchtet, was das zu bedeuten hat.
    Gott hat ihn erhört, die Gebete waren nicht umsonst, zur rechten Zeit schickt er sein Zeichen, die Empfangsbestätigung, und gleich ein Zeichen, wie man es sich praktischer nicht vorstellen kann, dafür ist er eben Gott! Ohne Strom wird das Radio verurteilt sein, endlich den Mund zu halten, das Licht flackert um so mehr, je inbrünstiger Herschel betet. »Nicht lockerlassen!«, feuert ihn Roman an, aber das braucht er ihm nicht erst zu sagen, Herschel weiß, worum es geht, Ratschläge von Spöttern sind nicht gefragt, wenn die Glückseligkeit als Lohn winkt. Er läßt hingebungsvoll weiter seine Beziehungen spielen, bis es vollbracht ist, die Lampe geht endgültig aus, das letzte Wort ist gesprochen.
    Herschel stürzt zum Fenster, prüfende Blicke auf die andere Straßenseite, durch keinen einzigen Vorhang dringt ein Lichtschein, auch nicht im Haus von Jakob Heym. Wir haben dich zum Schweigen gebracht, mein Lieber, himmlische Ruhe wird sein, nimm deinen schrecklichen Kasten und bring ihn zum Teufel, brauchen kannst du ihn nicht mehr.
    Und bilde dir nur nicht ein, daß die Stromsperre, die du in deiner Gedankenlosigkeit für einen Schaden hältst, morgen schon behoben sein wird, Kurzschlüsse von allerhöchster Stelle dauern ihre Zeit.
    Stolz und in Maßen glücklich, wie es die Umstände eben erlauben, legt sich Herschel nach getaner Arbeit ins Bett und nimmt gelassen die Glückwünsche Romans entgegen.

    Besorgte Gesichter rings um Jakob, was soll werden, man sitzt auf dem trockenen und hat keine Ahnung, was in der weiten Welt geschieht. Den dritten Tag schon dauert dieser unerträgliche Zustand, das ist keine Stromsperre mehr, das ist eine Naturkatastrophe, muß uns dieses Unglück auch noch treffen. Voreilig hatte man sich an die freudigen Nachrichten gewöhnt, man ist süchtig geworden auf die paar Kilometer an jedem Morgen, und den ganzen Tag gab es etwas zu hoffen und zu bereden. Und jetzt herrscht betrübte Ruhe, der erste Schritt in der Frühe hat uns zum Lichtschalter geführt, sogar mitten in der Nacht sind welche aufgestanden, wir haben den Schalter gedrückt und die befürchtete Antwort vernommen, daß Jakob auch heute wieder genauso klug ist wie wir selber. Erst der Strom wird ihn von neuem allwissend machen, erst der Strom, den dunkle Mächte abgeschaltet haben, erst wenn in allen Zimmern die Lampen wieder brennen, wird sein Licht besonders hell scheinen, aber wann wird das sein.
    Der einzige, für den der neue Grund zur Besorgnis keiner ist, heißt Jakob, dieser Schicksalsschlag hat ihn ausnahmsweise nicht getroffen. Seine Verbindung zur Außenwelt ist nicht abgerissen, was nicht da ist, kann nicht abreißen, sie ist so dürftig wie eh und je, nur darf er es endlich zugeben. Der reine Wahnsinn, welche Töpfchen sich das Glück zum Kochen aussucht, wenn auch ein sehr bescheidenes Glück, als Stromsperre verkleidet, soll es dauern, bis die ersten russischen Gesichter am Stadtrand die Posten überraschen. Wenigstens kann er nun freier atmen, Jakob darf wieder einer von vielen sein, keiner zwingt ihn, mehr zu wissen als alle, aber verstellen muß er sich weiter. Immerzu muß er sich verstellen, er muß Bedauern heucheln, wo keins ist, Bedauern über den Stromausfall, keine Kleinigkeit bei der Erleichterung. Ihr habt gesehen, Freunde, ich tue mein Möglichstes, solange es ging, habe ich euch mit dem Neuesten und Besten beliefert, keinen Tag seid ihr ohne trostreiche Meldung geblieben, wie gerne würde ich weiterberichten bis zu der ersehnten großen Stunde, aber mir sind die Hände gebunden, ihr seht ja selbst.
    Am Morgen hat Kowalski wieder das Rennen gemacht, er trägt mit Jakob, bloß war es diesmal kein richtiges Rennen mehr, Jakob ist über Nacht eine durchaus gewöhnliche Arbeitskraft geworden, eine ältere Person mit zwei denkbar schwachen Händen, um die sich keiner mehr reißt. Kowalski ist eher aus alter Gewohnheit an Jakob geraten, oder aus alter Freundschaft, jedenfalls tragen sie

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