Jakob der Luegner
nicht überwältigend.
»Morgen räume ich bei dir auf«, sagt sie. »Heute habe ich keine Lust mehr.«
»Das wirst du nicht«, sagt Jakob streng. »Der Professor hat gesagt, du sollst noch nicht soviel herumlaufen.«
Lina sagt gar nichts, sie setzt sich lächelnd an den Tisch, Jakob weiß so gut wie sie, daß sie doch Ordnung machen wird. Seit geraumer Zeit herrscht Klarheit, wer hier den Ton angibt, das ist kein Thema mehr für Debatten, Jakob hat sich um das Essen zu kümmern, um die Kleider und im Winter um die Feuerung, für alles andere ist sie zuständig, auch wenn er sich manchmal noch etwas anstellt. Nicht zum Streiten über längst erledigte Fragen ist sie hereingekommen, auch nicht aus Angst, er könnte sie vergessen haben, das hätte er schon nicht, der Grund für ihr Erscheinen liegt ein paar Tage tief, da hat sie viel gehört und wenig verstanden, da ist ihr eine Sache ziemlich unklar.
»Hast du gehört, wovon sie alle reden?« fragt Lina.
»Wovon denn?«
»Daß die Russen bald hier sind?«
»Was du nicht sagst!«
Jakob geht zum Schrank, nimmt seine Wochenration Brot, bricht sich zum Abend ab und kaut.
»Wer erzählt sich das denn?«
»Na Siegfried und Rafael und Frau Sonschein und Frau London, eben alle. Weißt du denn noch nichts?«
»Nein.«
Jakob setzt sich ihr gegenüber, sieht ihr enttäuschtes Gesicht, hat sich Klarheit versprochen, und er weiß von nichts.
Er teilt sein Brot und hält eine Hälfte davon Lina als Entschädigung hin. Sie nimmt, kaut auch, aber das Brot ist längst nicht so gut, wie seine Unwissenheit schlecht ist.
»Das heißt, gehört habe ich schon was«, sagt Jakob. »Aber nichts Genaues. Was ist denn daran so wichtig?«
Ihre Augen werden langsam ungemütlich, für wie dumm wird man hier gehalten, als ob sie ein Baby wäre, führt selbständig einen Haushalt, von Ungeheurem wird überall geredet, und was daran ist wohl so wichtig?
»Wie wird es denn sein, wenn die Russkis hier sind?«
»Woher soll ich das wissen?« sagt Jakob.
»Besser oder schlechter?«
Jakob ist nach Stöhnen. Den Hyänen auf dem Bahnhof bist du für heute glücklich entronnen, wenn der Einfall mit dem entzweigegangenen Radio sich bewährt, sogar für immer, doch schon mußt du dich nach einem anderen Fluchtweg umsehen, denn in den eigenen vier Wänden wächst ein neuer Quälgeist, ein geliebter zwar, aber er kann Fragen stellen, soviel Haare hast du nicht auf dem Kopf. Oder du siehst dich nicht um, du fügst dich in dein Schicksal, ein Kind von nicht mal neun, das mußt du dir doch zutrauen.
Wirst ihr, so gut du kannst, etwas über die Welt von morgen erzählen, die interessiert dich doch auch, und wenn sie in groben Zügen weiß, was da auf sie zukommt, schaden wird es ihr auf keinen Fall.
»Wird es besser oder schlechter?«
»Besser natürlich«, sagt Jakob.
»Aber wie besser? Was wird dann anders?«
»Wir werden keine Sterne mehr tragen müssen. Lina kann sich anziehen, was sie möchte, und niemand wird sie auf der Straße fragen, wo sie ihren Stern gelassen hat.«
»Das ist alles?«
»Aber nein. Du wirst satt zu essen kriegen …«
»Soviel ich will?«
»Soviel du willst. Stell dir vor, auf dem Tisch stehen alle möglichen Sachen, du nimmst dir, worauf du gerade Lust hast, und wenn du nicht mehr kannst, dann wird abgeräumt, und zum nächsten Essen steht alles wieder da.«
»Das schwindelst du«, sagt sie, weil es nicht schlecht wäre, wenn er es ihr noch einmal bestätigt.
»Das ist die reine Wahrheit. Und schöne Kleider wirst du haben, wir werden zusammen in den Laden gehen und …«
»Warte doch. Was für Sachen werden denn auf dem Tisch stehen?«
»Was du gerne ißt. Fleischpastete mit Butter und Chale und gekochte Eier und Fisch, du kannst es dir aussuchen.«
»Wirst du auch wieder Kartoffelpuffer braten?«
»Werde ich.«
»In der Diele?«
»In der Diele.«
»Du erinnerst dich doch noch, was du mir versprochen hast?
Daß ich dir in der Diele helfen darf?«
»Klar.«
»Du stehst hinter dem Tisch und brätst die Puffer, und ich darf sie den Gästen bringen mit meiner weißen Schürze.
Und im Sommer bringe ich ihnen Eis.«
»So wird es sein.«
»Da freue ich mich schon.«
Lina freut sich schon, immer wenn sie sich freut, zieht sie die Schultern bis zu den Ohren hoch, Jakob kommt endlich zum Essen, vorerst das trockene Brot, bis sie nach einigem Nachdenken die Stirn in Falten legt, weil ihr plötzlich ein Hindernis aufgetaucht ist.
»Aber was wird dann mit
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