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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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der Schule? Du hast auch gesagt, ich muß später in die Schule. Und wenn das stimmt, bleibt doch keine Zeit für die Diele?«
    »Die Schule ist wichtiger«, entscheidet Jakob. »Solange werde ich schon die Gäste alleine bedienen. Wenn du mit der Schule fertig bist, kannst du mir immer noch helfen, wenn du dann noch Lust hast.«

    »Aber ich möchte lieber gleich.«
    »Was hast du denn gegen die Schule? Hat dir irgendein Dummkopf was Schlechtes darüber erzählt?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Na also. Die Schule ist was Wunderwunderschönes. Da gehen lauter dumme Kinder rein, und lauter kluge Kinder kommen wieder raus. Aber wenn du meinst, dumm gefällst du mir besser …«
    »Müssen Siegfried und Rafael auch in die Schule?«
    »Klar.«
    Nach dieser Beruhigung klopft es. Lina springt auf und will zur Tür und aufschließen, aber Jakob hält sie zurück und legt den Finger auf den Mund. Klopfen ist immer verdächtig, nicht jeder Verdacht bestätigt sich. Es könnte Kirschbaum sein zum Beispiel, der von Linas Besserung reden möchte, oder der Nachbar Horowitz will sich bis zur nächsten Zuteilung auf Ehrenwort einen Löffel Malzkaffee borgen, es kann ein ganz gewöhnliches Klopfen sein, wir werden es ja gleich erleben, aber trotzdem braucht Lina nicht gesehen zu werden, sie geht keinen Menschen etwas an. Jakob legt seinen Arm um ihre Schulter, zieht sie zum Fenster, zeigt mit dem Finger hinter das Bett.
    »Hier hockst du dich hin«, flüstert er. »Du rührst dich nicht, bis ich rufe. Verstanden?«
    Verstanden, Lina hockt und rührt sich nicht, und Jakob öffnet. Wer steht schon draußen, kein anderer als Kowalski mit dem verschwollenen Gesicht steht in der Tür und versucht zu lächeln.
    »Da hast du mich wieder auf dem Hals.«
    Jakob würde ihn gerne gleich in der Tür abfertigen, sag schnell, was los ist, und dann auf Wiedersehen, aber Kowalski macht ganz den Eindruck, als hätte er Zeit in Hülle und Fülle.
    Er geht an Jakob mit der Klinke in der Hand vorbei, setzt sich an den Tisch und sagt: »Willst du nicht die Tür zumachen?«
    Das Türschließen gerät Jakob etwas laut, Lina ist leise wie befohlen, er setzt sich wohl oder übel auf den zweiten Stuhl und gibt sich Mühe, nach wenig Zeit auszusehen.
    »Du bist gerade beim Abendbrot«, stellt Kowalski fest. »Ich störe doch nicht?«
    »Willst du nicht endlich sagen, warum du kommst?«
    »Begrüßt man so einen Gast?« fragt Kowalski freundlich.
    »Nein, ich werde gleich Wein aus dem Keller holen!«
    »Warum so aufgeregt? Das war schon früher dein ganzes Unglück, Jakob, du hast deine Gäste nicht freundlich genug behandelt, das haben sie mir oft erzählt beim Haareschneiden.
    Deswegen sind auch immer weniger zu dir gekommen.«
    »Danke für den Rat. Aber bist du hier, um mir das zu sagen?«
    Hinter dem Bett kichert es lautlos, nur für einen hörbar, der weiß, daß da noch jemand ist.
    »Du wirst lachen, Jakob, ich hab gar nichts Bestimmtes. Zu Hause wird mir die Decke immer niedriger, man kann nicht Abend für Abend im selben Zimmer sein. Gehst mal auf ein Schwätzchen zu Jakob, hab ich gedacht, dem wird es ähnlich gehen, hab ich gedacht, er wird sich freuen. Früher hat man sich doch auch nach der Arbeit getroffen, und jeder hat das völlig normal gefunden. Soll man nicht langsam wieder anfangen, sich an was Normales zu gewöhnen?«
    Bevor Jakob antworten kann, daß früher früher war, und heute ist heute, und er will seine Ruhe haben und sich schlafen legen, weil die Arbeit auf dem Bahnhof über seine Kräfte geht, greift Kowalski in die Tasche, holt die beiden Zigaretten heraus, legt sie auf den Tisch, eine vor sich und eine vor Jakob und stopft ihm so fürs erste den Mund.
    »Das ist nett von dir«, sagt Jakob. Kowalski glaubt vielleicht, Jakob meint nun doch den Besuch, Jakob sieht auf die Zigaretten, am Ende meint er beides.
    »Außerdem hast du mir heute ziemlich wenig erzählt«, sagt Kowalski nach angemessener Pause. »Das mit den Verlusten war ja ganz erfreulich, aber du kannst dir denken, daß mich andere Dinge nicht weniger interessieren. Und davon war heute noch kein einziges Wort.«
    »Gewalt geschrien, Kowalski, warum quälst du mich so? Hat man es nicht schwer genug, mußt du jedesmal davon anfangen?
    Ich kann es nicht mehr hören! Wenn ich was weiß, sage ich es dir schon, aber in meinem eigenen Zimmer kannst du mir doch wenigstens Ruhe gönnen!«
    Kowalski nickt ein paarmal nachdenklich, er dreht seine Zigarette in den Fingern, schiebt

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