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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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und das alles mit unglaublicher Ausdauer. Jakob hat wenige Tage standgehalten, dann ist er mit seiner Kraft am Ende, an einem vorausberechenbaren Abend gewinnt Lina ihre Wette.
    Für mich, der ich wahrscheinlich als einziger noch lebe und mir Gedanken machen kann, ist dieser Abend der unbegreiflichste in der ganzen Geschichte. Sogar als Jakob ihn mir erklärt hat, so gut er konnte, habe ich ihn nicht völlig begriffen, ich habe Jakob gefragt: »Hast du es da nicht zu weit getrieben? Sie hätte dich doch verraten können, und alles wäre aus gewesen?« – »Aber nein«, hat Jakob lächelnd geantwortet,
    »Lina würde mich nie verraten.« Ich habe gesagt: »Ich meine ohne jede Absicht. Kindern fällt schnell ein unbedachtes Wort aus dem Mund, irgend jemand hebt es auf und baut sich ein ganzes Haus davon.« – »Lina überlegt sich genau, was sie redet«, hat Jakob geantwortet, und ich mußte es ihm glauben. Aber da war noch etwas anderes, das mir kaum verständlich erschien.
    »Da ist noch etwas, Jakob.
    Du konntest dir doch nicht sicher sein, daß sie nicht alles durchschaut? Wie leicht hätte sie merken können, was in Wirklichkeit geschah, sie ist ein kluges Mädchen, wie du selbst sagst. War es nicht unverschämtes Glück, daß sie es nicht durchschaut hat?« – »Sie hat es durchschaut«, hat Jakob gesagt, und seine Augen sind ganz stolz geworden.
    »Weißt du, mir war es eigentlich ganz egal, ob sie was merkt oder nicht. Ich wollte ihr einfach eine Freude machen, ohne Rücksicht auf die Folgen, deswegen bin ich mit ihr in den Keller gegangen.« Und nach einer Pause, die für mich viel zu kurz war, jenen Abend zu begreifen, hat er noch hinzugefügt: »Oder nein, es war mir nicht egal. Ich glaube, ich habe damals gewollt, daß sie alles erfährt. Ich mußte irgend jemandem endlich mein Radio zeigen, und Lina war mir von allen die liebste dafür, mit ihr war es wie ein Spiel. Alle anderen wären über die Wahrheit entsetzt gewesen, sie hat sich hinterher gefreut. Deswegen habe ich zu ihr an dem Abend gesagt, komm jetzt in den Keller, wir wollen zusammen Radio hören.« Und jetzt habe ich plötzlich gelächelt, jetzt habe ich gesagt: »Wenn ich damals gewußt hätte, was du alles kannst, ich wäre zu dir gekommen und hätte dich gebeten, mir einen Baum zu zeigen.« Was Jakob wieder nicht verstehen konnte. Hören wir uns diesen Abend an.
    Beträchtliche Spannung, Lina hängt an Jakobs Rock, der Kellergang ist lang und düster. Die Metalltüren, an denen es auf Zehenspitzen vorbeigeht, sind alle verschlossen, als hätten sie Reichtümer von unschätzbarem Wert zu verbergen.
    Die Luft ist feucht und kalt, trotz August draußen. In besorgter Voraussicht hat Jakob auf Winterkleid, Strümpfe und Schal für Lina bestanden, an Decke und Wänden hängen Tropfen und glitzern wie schwache Lämpchen.
    »Hast du Angst?«
    »Nein«, flüstert sie entschieden, und so sehr gelogen ist das nicht, die Neugier wird sie alles andere vergessen lassen.
    Immerhin wartet am Ende des Ganges das Ding, nach dem tagelang vergeblich gesucht wurde und das man fast schon verloren gegeben hatte, und da wird sie jetzt sagen, ich fürchte mich, wir kehren lieber um.
    Endlich bleibt Jakob stehen, fast der letzte Keller in der langen Reihe, er nimmt den Schlüssel aus der Tasche, sperrt auf, schaltet das Licht ein, das nur wenig heller ist als gar keine Lampe.
    Der Keller muß beschrieben werden, vier Meter im Geviert und ohne Fenster. Am auffälligsten, eine Wand ist quer durch den Raum gezogen, macht fast zwei aus ihm, läßt nur einen schmalen Durchgang frei, die Bauherren haben sich einen Kohlenkeller vorgestellt. Das schnell aufgezählte Inventar, ein Bettgestell aus Eisen mit rotgerostetem Federboden, ein Häufchen Ofenschutt mit Kachelresten, grünen und braunen, und einigen Rohren nebst Knie. Und in der Ecke neben der Tür die einzige einschließenswerte Kostbarkeit, ein sorgsam geschichteter kleiner Stapel Holz, in dem hat der unbescheidene Wilddieb Piwowa vor Monaten geschlafen, als die Scheite noch eine Schlafgelegenheit hergaben. Dann ein Blick hinter die Trennwand, wieder Ofenschutt, Ziegelsteine und ein Spaten und ein löchriger Eimer und eine Axt. Schon alles, ich bin so akkurat, nicht weil die aufgezählten Dinge von Bedeutung wären, sondern weil ich später dort gewesen bin, bei meiner Suche nach Zeugen und Spuren und nicht vorhandenen Bäumen. Genau wie ich die Entfernung zwischen dem Revier und der nächsten Ecke mit meinem

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