Jakob der Luegner
hat. Kowalski hat gesagt, »wir haben gewartet«, also ist der junge Mann nicht zufällig hier, Kowalskis Finger sind im Spiel, er muß ihn herbestellt haben.
»Willst du uns nicht bekannt machen?« sagt Jakob.
»Ihr kennt euch nicht?« tut Kowalski verwundert. »Das ist Josef Najdorf.«
»Ich heiße Jakob Heym.«
»Ich weiß«, sagt der schüchterne junge Mann, der also Najdorf heißt, seine ersten Worte, die noch auf gar nichts schließen lassen.
»Du arbeitest nicht auf dem Bahnhof?« fragt Jakob.
»Nein.«
»Sondern?«
»In der Werkzeugfabrik.«
»Aber dann gehst du ganz falsch. Du mußt doch genau in die entgegengesetzte Richtung.«
»Wir fangen später an als ihr«, sagt Najdorf, und man sieht, ihm ist nicht wohl bei seiner Erklärung.
»Aha. Und weil du noch etwas Zeit hast, begleitest du uns eben das Stück bis zum Bahnhof. Ganz klar.«
Najdorf bleibt plötzlich stehen, wie man stehenbleibt, bevor man wegläuft, er macht einen verstörten Eindruck, leise sagt er zu Kowalski: »Geht es nicht doch ohne mich? Verstehen Sie, ich will mit dieser ganzen Sache nichts zu tun haben. Verstehen Sie, ich habe Angst.«
»Fang doch nicht schon wieder an. Habe ich dir nicht alles von vorne bis hinten erklärt?« sagt Kowalski nervös und nimmt ihn am Arm, bevor er ihm desertieren kann. »Begreif doch endlich! Er wird schweigen, ich werde schweigen, und du wirst auch schweigen. Außer uns dreien erfährt kein Mensch davon.
Was soll da passieren?«
Najdorf sieht immer noch ganz unglücklich aus, aber er bleibt, als Kowalski ihn vorsichtig losläßt.
»Worüber werde ich schweigen?« fragt Jakob, der nun doch Näheres erfahren möchte. Kowalski heißt ihn mit einer Handbewegung abwarten, die Handbewegung bedeutet vielerlei, sie bedeutet, du siehst doch, in welchem Zustand der Junge ist, man muß ihm einen Augenblick Ruhe gönnen, daß er mit sich und seiner Angst ins reine kommt. So inhaltsreiche Handbewegungen kann Kowalski machen. Er zwinkert Najdorf aufmunternd zu, was nicht so einfach ist bei den geschwollenen Augen, er sagt: »Jetzt kannst du ihm erzählen, was du bist.«
Najdorf zögert noch, Jakob ist nicht wenig neugierig, eine Überraschung am frühen Morgen, bei der ein junger Mann sich fürchtet und über die man, wenn auch aus bis jetzt unbekannten Gründen, Stillschweigen bewahren muß, so eine gelingt Kowalski nicht alle Tage.
»Eigentlich bin ich Rundfunkmechaniker«, sagte Najdorf endlich und gequält.
Rundfunkmechaniker ist er.
Kein Stuhl steht da für Jakob, die Blicke fliegen hin und her, die vergnügten und die vernichtenden, eine unsinnige Wut auf Kowalski macht Jakob das Atmen schwer. Spielt den lieben Gott, dieser Kretin von einem Freund, kümmert sich um Reparaturen, von deren Umfang er keine blasse Ahnung hat, und bildet sich bestimmt noch ein, daß man ihm dankbar sein muß für seine Unternehmungslust und seine Mühe.
Denn leicht wird es nicht gewesen sein, an einem einzigen kurzen Abend, der um acht schon zu Ende ist, jemanden aufzutreiben, der was von Radios versteht, aber nicht zu schwer für einen Freund wie Kowalski. Steht und strahlt erwartungsvoll, wie hab ich das gemacht, großartig natürlich, noch so eine Hilfe, und man kann sich gleich aufhängen. Und für den hat man nun die Schlacht an der Rudna mitgewonnen, man bekommt Lust, das Radio nachträglich zu verbrennen.
Gleich als man sich gestern auf Wiedersehen gesagt hat, muß er losgelaufen sein und das ganze Ghetto verrückt gemacht haben.
Vorher gekannt hat er diesen Najdorf nicht, das hätte man gewußt, Kowalskis Bekannte sind leider auch die eigenen. Von einem zum anderen muß er sich geschlichen und mit seiner penetranten Stimme vertraulich gefragt haben: »Kennst du nicht zufällig jemand, der ein Radio reparieren kann?« – »Ein Radio? Wozu um Himmels willen brauchst du jemand, der ein Radio repariert?« – »Na wozu schon?«
Irgendeiner hat ihn dann auf diesen armen Najdorf gehetzt, der mehr Verstand im kleinen Finger besitzt als Kowalski im ganzen Kopf, seine Angst ist der beste Beweis. Hat ihm wer weiß was erzählt, um ihn zu beruhigen, hat ihn hergeschleift, die peinlichste Situation heraufbeschworen, die man sich vorstellen kann, und jetzt steht man einem leibhaftigen Rundfunkmechaniker gegenüber.
»Da hast du aber einen schönen Beruf!« sagt Jakob.
»Nicht wahr?«
Kowalski freut sich wie ein König, die Freundschaftsdienste nehmen einfach kein Ende, neulich die wunderbare Errettung vom
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