Jakob der Luegner
Bandmaß nachgemessen habe, wie ich in Jakobs Zimmer gegangen bin, in dem inzwischen eine alleinstehende alte Frau wohnte, der nichts vom Schicksal irgendwelcher Vormieter bekannt war, das Wohnungsamt hatte ihr fürs erste das Zimmer zugewiesen, so bin ich auch in diesem Keller gewesen. Der Keller gehörte nach wie vor zu dem Zimmer, Frau Domnik hat mir ohne viel Fragen den Schlüssel ausgehändigt, sie hat nur gesagt, sie sei noch nie nach unten gegangen, sie besäße kein Zeug, das in den Keller müßte, und deswegen sollte ich mich nicht über den Staub und die mögliche Unordnung wundern, sie trüge keine Schuld daran. Staubig war es dann auch und überall Spinnweben, das ist die Wahrheit, aber von Unordnung habe ich nichts gemerkt, ich fand alles so, wie Jakob es mir beschrieben hatte. Das Bettgestell, Ofenschutt, Axt und Eimer, sogar die Holzscheite lagen noch neben der Tür.
Jakob schließt von innen zu, Jakob sagt: »Damit uns niemand stört.« Dann sagt er: »Und jetzt setz dich hierher«, und zeigt auf das eiserne Bettgestell.
Lina hat sich schon etwas umgesehen, bis jetzt vergeblich, trotzdem setzt sie sich ohne Widerrede, er könnte noch ganz andere Gehorsamsbezeigungen von ihr verlangen, unter diesen Umständen.
»Wo hast du denn das Radio?«
»Du wirst es schon noch aushalten.«
Er hockt sich vor sie hin, nimmt Linas Kinn in eine Hand, richtet ihr Gesicht auf sich, damit ja kein Blick verlorengeht, und beginnt mit den nötigsten Vorbereitungen: »Hör genau zu, was ich dir sage. Als erstes mußt du mir versprechen, daß du artig bist und alles tust, was ich jetzt von dir verlange. Heiliges Ehrenwort?«
Das heilige Ehrenwort, nur für ganz wichtige Anlässe eingerichtet, wird ungeduldig gegeben, ihre Augen fordern, er möge sich nicht so lange mit Vorreden aufhalten.
»Du bleibst hier ganz still sitzen. Das Radio steht hinter dieser Wand dort. Ich gehe jetzt dahinter, schalte es ein, dann spielt es, und wir beide werden es hören. Aber wenn ich merke, daß du aufstehst, mache ich es sofort wieder aus.«
»Darf ich es nicht sehen?«
»Auf keinen Fall!« sagt Jakob entschieden. »Eigentlich darf man es auch nicht hören, wenn man noch so klein ist, das ist streng verboten. Aber ich mache mit dir eine Ausnahme. Einverstanden?«
Was bleibt ihr übrig, sie wird erpreßt und muß sich fügen.
Hören ist besser als gar nichts, auch wenn sie sich den unmittelbaren Anblick versprochen hatte. Außerdem könnte sie ja, sie könnte, wir werden sehen.
»Was spielt denn dein Radio?«
»Das weiß ich nicht vorher. Ich muß es erst anstellen.«
Die Vorbereitungen sind abgeschlossen, mehr kann man zur eigenen Sicherheit nicht tun, Jakob steht auf. Geht zu der Wand, bleibt an dem Durchgang stehen und sieht Lina noch einmal an, mit Blicken, die sie nach Möglichkeit an das Bettgestell fesseln sollen, dann verschwindet er endgültig.
Jakobs Augen müssen sich erst an das neue Licht gewöhnen, es reicht kaum bis hinter die Trennwand, er stößt mit dem Fuß an den löchrigen Eimer.
»War das schon das Radio?«
»Nein, noch nicht. Es dauert noch einen Augenblick.«
Etwas zum Sitzen wird benötigt, denn der Spaß kann sich hinziehen, wenn er erst ins Rollen kommt, Jakob stellt den Eimer verkehrt und macht es sich darauf bequem. Sehr spät begegnet ihm die Frage, was für ein Programm das Radio überhaupt zu bieten hat, Lina hatte sie schon flüchtig berührt, und die Zeit ist reif für eine Antwort. Man hätte sich vorher damit beschäftigen sollen, was man nicht alles hätte, vielleicht sogar ein wenig üben, so aber muß das Radio spielen, wie es gerade kommt. Macht es Musik, wird aus ihm gesprochen, Jakob erinnert sich, daß sein Vater vor ewigen Jahren eine ganze Blaskapelle nachahmen konnte, mit Tuba, Trompeten, Posaune und großer Pauke, zum Totlachen hat es sich angehört, nach dem Abendbrot, wenn der Tag ohne großen Ärger vergangen war, konnte man ihn manchmal breitschlagen. Aber ob so ein Orchester gleich beim erstenmal gelingt, der Vater hat lange an ihm gefeilt, Lina wartet still im Winterkleid, und Jakob schwitzt schon, obwohl die Vorstellung noch gar nicht begonnen hat.
»Es geht los«, sagt Jakob, bereit zum ersten besten.
Ein Fingernagel schnipst gegen den Eimer, so stellt man Radios an, dann ist die Luft voll Brummen und Pfeifen. Die Periode des Warmmachens wird übersprungen, diese Einzelheit für Kenner, Jakobs Radio hat von Anfang an die rechte Temperatur, und schnell ist auch die
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