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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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und sehen besser aus als gestern. Jakob nickt unmerklich, daß es stimmt, ihr habt richtig gehört, und das reparierte Radio wird wahrscheinlich eher auf dem Bahnhof sein als sein Besitzer.
    »Was ich dich fragen wollte«, sagt Kowalski, »ich habe mir überlegt, daß es eigentlich langsam Zeit wird, auch an andere Sachen zu denken.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel an Geschäfte.«
    »An Geschäfte? An was für Geschäfte?«
    »Ich bin Kaufmann«, sagt Kowalski. »Ist nicht jetzt die beste Gelegenheit, wenigstens in Gedanken alles für später vorzubereiten?«

    »Wieso Kaufmann? Und was willst du vorbereiten? Steht dein Friseurgeschäft nicht da und wartet auf dich?«
    »Das ist die Frage. Weißt du, ich überlege schon lange, ob ich nicht später vielleicht was anderes anfange.«
    »Auf deine alten Tage was anderes?«
    »Warum nicht? Ganz unter uns, ich habe etwas Geld versteckt. Nicht direkt ein Vermögen, verstehst du, aber kann man es nicht besser anlegen als in meinem alten Laden, der mir noch nie richtig gefallen hat? Dir doch auch nicht, wenn du ehrlich bist? Und wenn ich so was tue, will ich sicher sein, daß es nicht rausgeschmissen ist.«
    »Und was soll ich dabei?«
    »Ab und zu sagen sie doch im Radio bestimmt auch Wirtschaftsnachrichten durch?«
    »Tun sie.«
    »War nicht etwas dabei, wonach man sich richten könnte?  Irgendein Wink?«
    »Ich interessiere mich nicht dafür.«
    »Du und dich nicht dafür interessieren!« sagt Kowalski.
    »Etwas wirst du schon gehört haben.«
    »Was willst du denn überhaupt wissen? Bis jetzt verstehe ich kein Wort.«
    »Ich will ganz einfach wissen, welche Branche die besten Aussichten hat.«
    »Manchmal wirst du direkt kindisch, Kowalski. Denkst du im Ernst, sie erzählen im Radio: Wir empfehlen Ihnen, nach dem Krieg Ihr Geld in den und den Geschäften anzulegen?«
    Das sieht Kowalski ein, er sagt: »Na schön, dann frage ich dich eben als Freund. Wenn du Geld hättest, wo würdest du es am ehesten reinstecken?«
    Also überlegt Jakob auch, so eine Geldanlage will wohl überlegt sein, wo würde er es am ehesten reinstecken?
    »Vielleicht bei Genußmitteln? Wenn du dich erinnerst, nach dem vorigen Krieg sind alle verrückt danach gewesen. Und David Gedalje, du kennst ihn doch auch, hat sich damals aus Schnaps ein herrliches Haus gebaut.«
    »Hat er, hat er«, sagt Kowalski, »aber wo sollen die Grundstoffe herkommen? Denkst du, in der ersten Zeit werden genug Kartoffeln sein, daß man Schnaps aus ihnen machen kann?«
    »So darfst du nicht rechnen. Grundstoffe wird es für gar nichts geben. Für Nachkriegsgeschäfte brauchst du keine Logik, sondern eine gute Nase.«
    Kowalski zweifelt weiter, man sieht, die Nase steht ihm nicht nach Schnaps, dafür ist ihm sein Geld zu schade.

»Günstig müßte es eigentlich bei Textilien aussehen. Sachen werden immer gebraucht«, sagt er.
    »Vielleicht hast du recht. Jahrelang haben sie nur Sachen für Soldaten genäht. Soldatenhosen, Soldatenstrümpfe, Soldatenjacken, Soldatenmäntel, die normalen Leute haben ihre alten Sachen aufgetragen. Und was heißt das?«
    »Nu?«
    »Es wird ein Bedarf sein.«
    »Das ist nur die halbe Wahrheit, Jakob. Vergiß nicht, daß in derselben Zeit sehr viele Sachen ungenutzt im Schrank gelegen sind, nämlich die von allen Soldaten. Und die sind heute noch wie neu.«
    »Hm«, sagt Jakob nachdenklich.

    Und so weiter, sie ziehen zwei, drei andere Möglichkeiten in Betracht, Kowalski spielt sogar mit dem Gedanken, sich mit Jakob zusammenzutun und eine großangelegte Gastwirtschaft mit allen Schikanen auf die Beine zu stellen. Aber Jakob ist das Abenteuer zu groß, außerdem meint es Kowalski sicher nicht so ernst, Jakob kommt auf seinen ersten Vorschlag zurück. Der lautet, Kowalski soll in seinem alten Laden bleiben, und wenn er nicht weiß, wohin mit dem versteckten bißchen Geld, dann kann er sich modernisieren, dann schaff dir endlich neue Stühle an. Denn Bedarf hin und Bedarf her, die Haare und die Bärte werden immer weiterwachsen. Und als sie am Bahnhof ankommen, ist Kowalski fast schon wieder Friseur.

    Lina gewinnt ihre Wette, denn Jakob ist dem ungleichen Kampf auf die Dauer nicht gewachsen, er zeigt ihr das Radio.
    Nach einigen Tagen erfolgloser Suche, nichts war mehr da, was sie nicht schon kannte, hat sie sich aufs Bitten verlegt.
    Sie kann bitten wie keine zweite, besonders weiß sie, wie man Jakob bittet, mit Schmeicheln, Tränen, Beleidigtsein von ganz bestimmter Art, wieder Tränen,

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