Jakob der Luegner
Senderwahl getroffen. Ein Sprecher mit hoher Stimme, wie gesagt das erste beste, meldete sich zu Wort: »Guten Abend, meine Damen und Herren in fern und nah, Sie hören jetzt ein Gespräch mit dem englischen Minister Sir Winston Churchill.« Dann gibt der Sprecher das Mikrophon frei, ein Mann in mittlerer Stimmlage läßt sich hören, der Reporter: »Guten Abend, Sir Winston.«
Dann Sir Winston persönlich, mit sehr tiefer Stimme und deutlich fremdländischem Einschlag: »Guten Abend allerseits.«
Reporter: »Ich begrüße Sie sehr herzlich in unserem Senderaum. Und gleich zur ersten Frage: Würden Sie unseren Hörern bitte sagen, wie Sie aus Ihrer Sicht die augenblickliche Situation einschätzen?«
Sir Winston: »Das ist nicht allzu schwer. Ich bin fest davon überzeugt, daß der ganze Schlamassel bald zu Ende sein wird, allerhöchstens noch ein paar Wochen.«
Reporter: »Und darf man fragen, woher Sie diese schöne Gewißheit nehmen?«
Sir Winston (etwas verlegen): »Nun ja, an allen Fronten geht es gut vorwärts. Es sieht ganz so aus, als könnten sich die Deutschen nicht mehr lange halten.«
Reporter: »Wunderbar. Und wie steht es speziell in der Gegend von Bezanika?«
Ein kleiner Zwischenfall ereignet sich, das Schwitzen und die kalte Luft im Keller, oder Jakob kommt irgend etwas in die Nase, jedenfalls müssen Reporter, Sprecher und Sir Winston alle durcheinander niesen.
Reporter (faßt sich als erster): »Gesundheit, Herr Minister!«
Sir Winston (nachdem er sich geschneuzt hat): »Danke.
Aber zurück zu Ihrer Frage. In der Gegend von Bezanika steht es besonders schlecht um die Deutschen. Die Russen schlagen sie, wie sie nur wollen, Bezanika ist schon längst in ihrer Hand.
Gerade gestern erst haben sie eine wichtige Schlacht an dem Fluß Rudna gewonnen, falls Sie wissen, wo das ist.«
Reporter: »Ja, den Fluß kenne ich.«
Sir Winston: »Dann wissen Sie auch, wo die Front heute schon verläuft. Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern.«
Reporter (hocherfreut): »Da werden unsere Hörer sehr zufrieden sein, wenn es nicht eben Deutsche sind. Sir Winston, ich bedanke mich vielmals für die aufschlußreiche Unterhaltung.«
Sir Winston: »Bitte, bitte.«
Sprecher (nach kurzer Pause): »Das, meine Damen und Herren, war das angekündigte Gespräch mit dem englischen Minister Sir Winston Churchill. Auf Wiedersehen.«
Ein Fingernagel schnipst gegen den Eimer, so stellt man Radios ab, Jakob wischt sich den Schweiß von der Stirn. Ein bißchen mager das Interview, denkt er, und auch ein bißchen über Linas Kopf hinweg, aber man ist, das ändert sich leider nie, kein Scholem Alejchem an Erfindungsgabe, verlangt nicht zuviel von einem geplagten Mann, für heute wird es hoffentlich reichen. Jakob kommt wieder zum Vorschein, es erweist sich, nicht nur in der Gegend von Bezanika stehen die Dinge glänzend, hier im Keller nicht minder, Lina hat endlich mit eigenen Ohren ein Radio gehört, für Kinder streng verboten, und ist hingerissen. Es hätte auch anders kommen können, die Stimme zu verstellen war ein Schritt in Neuland, dazu gleich auf drei verschiedene Arten, Lina hätte auch frostig fordern können, er möge jetzt mit dem Unfug aufhören und endlich das Radio anmachen. Der Schlag hätte Jakob getroffen, schon der Gedanke, aber ihr fallen solche Worte nicht im Traum ein, alles ist in schönster Ordnung, das sieht er sofort.
»Hat es dir gefallen?«
»Ja.«
Beiderseitige Zufriedenheit, Jakob steht vor ihr und will von Aufbruch reden, wir haben alle unseren Spaß gehabt, das Bett wartet, aber Lina sagt: »Es ist doch noch nicht zu Ende?«
»Was denn sonst?«
»Ich möchte noch mehr hören.«
»Nein, nein, jetzt ist Schluß«, sagt er, aber er sagt es nur so dahin. Ein kurzes Wortgefecht, es ist schon zu spät, Lina möchte mehr hören, vielleicht ein andermal, irgend etwas, nie genug kriegen, er soll das Radio nur wieder anmachen, mit allem will sie zufrieden sein. Jakob niest von neuem, an diesem Abend hat die ganze Welt das Niesen, beim Naseputzen prüft er ihre Blicke und findet keinen Argwohn, das gibt den Ausschlag.
»Was willst du denn hören?«
Also sitzt Jakob wieder auf dem Eimer, in völliger Stille, allmählich von Ehrgeiz gepackt. Von Ehrgeiz betreffs der Blaskapelle, die geht ihm nicht aus dem Kopf, obwohl sie gute vierzig Jahre geschwiegen hat und eingestaubt ist und die Instrumente verrostet, Jakob will es wagen, entschlossen wie er heute ist.
Am Anfang steht das Schnipsen,
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