Jakob der Luegner
kommst du heute nicht?« Sie hat geantwortet: »Ich komme ja mit«, und da hat er es ausgesprochen: »Endlich!«
Sie sind in das Zimmer gegangen. Mischa hatte es vorher schon umgeräumt, denn Fajngolds Abwesenheit durfte man als endgültig betrachten. Der Schrank stand, wie gesagt, an der Wand, der Vorhang hing vor dem Fenster, Rosa ist mitten im Zimmer stehengeblieben und mußte sich erst gewöhnen. Denn so hatte sie es noch nie gesehen. Fajngolds glattgestrichenes Bett ist ihr natürlich aufgefallen, sie hat gleich geahnt, daß es damit noch Ärger geben würde. Sie hat gefragt: »Was ist das für eine Schachtel?«
»Seine Sachen. Falls sie jemand abholt«, hat Mischa gesagt.
Und sofort war die richtige Stimmung.
Irgendwann haben sie sich hingelegt, aber lange stumm und reglos und ohne Freude, wie alles anders war an diesem Abend, das Licht hat noch gebrannt. Mischa hat auf der Seite gelegen und sie auf dem Rücken, weil das Bett für zwei auf dem Rücken zu eng ist. Mit einem Blick auf das glattgestrichene Bett Fajngolds hat er gefragt: »Was meinst du, könnten wir nicht …«
»Bitte nein!« hat sie ihn ängstlich unterbrochen.
»Schon gut.«
Er hat das Licht ausgemacht, den Arm unter ihren Kopf geschoben, so fängt es sonst auch an, und wollte sie küssen, aber sie hat sich abgewendet. Bis er sie gefragt hat: »Was ist denn los mit dir?«
»Nichts.«
Er hat eine Weile nachgedacht, was nichts wohl bedeutet, dann hat er gesagt: »Aber du hast ihn doch so gut wie nicht gekannt? Und sogar wenn ja, was können wir denn ändern?«
Er wollte sie wieder küssen, sie hat ihn jetzt auch gelassen, aber eben nur gelassen. Bald hat er gemerkt, daß mit ihr nichts anzufangen war, da hat er die Augen geschlossen, morgen ist auch noch ein Tag, und ist eingeschlafen. Das war das einzige, das so war wie immer, er schläft immer als erster ein.
Mitten in der Nacht hat sie ihn geweckt, er war nicht böse, er hat gehofft, sie hätte sich die Sache endlich anders überlegt, dafür läßt man sich gerne wecken.
»Ich muß dir etwas sagen, Mischa«, hat sie geflüstert.
»Ja?«
Daß sie nun schwieg, hat er ganz falsch aufgefaßt, er hat sie zu sich gezogen und wollte mit den Lippen über ihr Gesicht streifen, da hat er gemerkt, daß es naß und salzig gewesen ist, von den Augen abwärts. Der Schreck ist ihm in die Glieder gefahren, weil er gewohnt war, daß sie selten lachte und niemals weinte, sogar als ihre einzige Freundin vor einem halben Jahr in den Zug steigen mußte, hat sie nicht weinen können, wenn man auch tagelang kein Wort von ihr zu hören bekam. Und jetzt auf einmal das Gesicht naß, da kann man schon erschrecken, aber sie hat nicht geschluchzt oder gejammert, es muß ganz still vor sich gegangen sein, er wäre ja nicht einmal aufgewacht, wenn sie ihn nicht geweckt hätte. Und außerdem war es schon so gut wie vorbei, ihrer Stimme nach zu urteilen.
»Ich habe eine Bitte, die muß dir seltsam vorkommen.«
»Sag.«
»Ich möchte, daß das Zimmer wieder wird wie vorher.«
»Was heißt das – wie vorher?«
»Der Schrank soll wieder in die Mitte. Und der Vorhang.«
»Aber wozu denn? Fajngold ist doch nicht mehr da?«
»Ich möchte es so«, hat sie gesagt.
Es ist ihm wirklich seltsam vorgekommen, zuerst seltsam, dann kindisch, dann albern, dann einfach lächerlich. Dann hat er sich erinnert, irgendwann etwas über die unergründlichen Launen von Frauen gehört oder gelesen zu haben und daß es sich empfiehlt, den Anfängen zu wehren. Die ganze Veränderung, die sie wünschte, hätte ihn nicht mehr als zehn Minuten gekostet, aber er hat gesagt: »Nur wenn du mir einen vernünftigen Grund nennen kannst.«
»Ich möchte es so«, hat sie gesagt.
Und das war kein vernünftiger Grund, beim besten Willen nicht, er hat sich standhaft geweigert. Er hat gesagt, daß es sie zwar ehrt, wenn ihr Fajngolds Verschwinden so zu Herzen geht, obwohl sie ihn gar nicht gekannt hat, nur seinen Atem und sein Schnarchen. Aber im Ghetto gehen schließlich jeden Tag viele Menschen verloren, die man ebensowenig kennt, und wenn man bei jedem einzelnen so ein Theater machte, das möchte nicht zum Aushalten sein. Und sie hat ihm vorgeworfen, er wäre ein abgestumpfter grober Klotz, ihr erster Streit war entstanden, und wenn es nicht die Verordnung mit acht Uhr gegeben hätte, wäre sie bestimmt aufgestanden, hätte sich angezogen und adieu. So aber hat sie ihm nur den Rücken zugedreht, damit er merkt, wie sehr sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher