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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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sich in einer fremden Wohnung befindet und daß ich ein solches Benehmen nicht gewohnt bin.«
    In Meyer sträubt sich dies und jenes, er will aufspringen, auffahren, aufschreien, aber Preuß sieht ihn dienstlich an, Sonderauftrag, dann sagt er: »Sie haben völlig recht.
    Entschuldigen Sie bitte.«
    »Sie wollten mir mitteilen, weshalb Sie gekommen sind.«
    »Ich glaube, das erkläre ich dem Herrn Professor lieber persönlich. Wissen Sie, wann er kommt?«

    »Nein. Spätestens um acht.«
    Sie setzt sich auf den freien Sessel, sehr gerade, sie legt die Hände in den Schoß, jetzt wird gewartet. Ich kann es getrost sagen, Kirschbaum kommt nach etwa einer halben Stunde, die Zeit vergeht mit Nichtigkeiten. Zum Beispiel, Meyer zündet sich eine Zigarre an, wirft das Streichholz auf die Erde, Elisa Kirschbaum hebt es auf, bringt ihm einen Aschenbecher und öffnet das Fenster. Meyer weiß nicht recht.
    Oder, Preuß erhebt sich nach einigen auf den Tisch getrommelten Takten, ihn interessiert der Bücherschrank. Er öffnet die Glasscheibe, neigt den Kopf auf eine Schulter, liest Buchrücken, dann greift er ein Buch heraus, blättert, ein anderes, blättert, das eine ganze Weile, stellt alle wieder auf die rechte Stelle.
    »Es sind ausnahmslos Bücher medizinischen Inhalts«, sagt Elisa Kirschbaum.
    »Ich sehe.«
    »Wir haben eine Genehmigung dafür erhalten«, sagt sie.
    Und, als Preuß fortfährt, stets andere zu betrachten: »Wollen Sie sie vielleicht sehen?«
    »Nein, danke.«
    Er findet eins, das ihm besonders zusagt, er setzt sich hin damit und hat seine Beschäftigung. Gerichtsmedizin.
    Oder, plötzlich springt Meyer auf, stürzt zu einer Tür, reißt sie auf, blickt in eine leere Küche, beruhigt sich wieder, setzt sich.
    »Hätte ja sein können«, erklärt er Preuß, der weiterliest.
    Oder, wieder steht Meyer auf, diesmal ohne Hast, geht zum Fenster, sieht nach unten. Er sieht zwei Frauen, die zwei Kinder vom Auto in das gegenüberliegende Haus zerren, sieht in diesem Haus fast hinter jeder Fensterscheibe ein Gesicht, die Uniform steht neben dem Wagen, gelangweilt.
    »Kann sich noch hinziehen«, ruft Meyer nach unten. Dann setzt er sich wieder, wie gesagt, eine halbe Stunde.
    Oder, Elisa Kirschbaum geht in die Küche, man hört sie hantieren, sie kommt mit einem Tablett zurück. Zwei Abendbrotteller, zwei Tassen, Messer, Gabeln, Teelöffel, zwei Stoffservietten. Sie deckt den Tisch, Preuß sieht kaum vom Buch auf, anders Meyer, dem wird das immer bunter.
    Preuß sieht kaum vom Buch auf, er sagt: »Laß sie.«
    Nach etwa einer halben Stunde kommt der Professor. Man hört seinen Versuch, den Schlüssel im Türschloß unterzubringen, von innen steckt ein zweiter, Meyer drückt seine Zigarre aus, im Aschenbecher. Preuß legt das Buch auf den Tisch, zwischen die Teller. Elisa Kirschbaum öffnet.
    Der Professor bleibt erschrocken in der Tür stehen, da ist kein großes Verbergen, wenn man auch nicht völlig unvorbereitet dasteht, das Auto unten vor dem Haus. Allerdings hätte man eher Zusammenhänge mit Heym erhofft, richtiger, nicht erhofft, vermutet, erhofft hat man nur keinen Zusammenhang mit sich, vergebens. Preuß steht auf.
    »Wir haben Gäste«, sagt Elisa Kirschbaum. Sie nimmt die Gerichtsmedizin vom Tisch, stellt sie in den Bücherschrank, schließt die Scheibe. Mit einem Tuch, das sie aus der Schürzentasche holt, wischt sie über irgendwelche Fingerspuren.
    »Professor Kirschbaum?« fragt Preuß endlich.
    »Ja?«
    »Mein Name ist Preuß.« Und sieht dann zu Meyer.
    »Meyer«, knurrt Meyer.

    Auf Händeschütteln wird verzichtet, Preuß fragt: »Kennen Sie Hardtloff?«
    »Sie meinen den Gestapo-Chef?«
    »Ich meine Herrn Sturmbannführer Hardtloff. Er bittet Sie zu sich.«
    »Er bittet mich zu sich?«
    Da ringt selbst Elisa Kirschbaum um ihre Fassung, Meyer übrigens auch um seine, bittet ihn zu sich, der ganze Ton hier, dieses Affentheater. Preuß sagt: »Ja. Er hatte am Morgen einen Herzanfall.«
    Der Professor setzt sich, blickt ratlos zu seiner Schwester, die steht inzwischen wie aus Stein, Hardtloff hatte am Morgen eine Herzattacke.
    »Ich verstehe nicht ganz.«
    »Sie sollen ihn untersuchen«, sagt Preuß. »Wenn ich mir auch vorstellen kann, daß Ihnen das Leiden des Herrn Sturmbannführers nicht sonderlich nahegeht. Es liegt für Sie kein Grund zur Beunruhigung vor.«
    »Aber …«
    »Was aber?« fragt Meyer.
    Wieder Blicke zur Schwester, ein Leben lang hat sie unangenehme Situationen aus der Welt

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