Jakob der Reiche (German Edition)
mischte sich jetzt ein: »Man muss schon einen großen Löffel haben –«
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach Jakob. »Wenn ich mit euren sämtlichen Bedenken handeln würde, könnte ich Doge von Venedig werden, so reich würde ich damit.«
Am selben Nachmittag schickte ihm Conrad Peutinger einen Boten ins Haus am Rohr.
»Ihr sollt, wenn es Euch möglich ist, zum Nachtmahl bei Herrn Doktor Peutinger erscheinen«, sagte der Junge.
Die ganze Angelegenheit war derart offenkundig, dass Jakob am liebsten gleich nach der Suppe aufgestanden und gegangen wäre. Sie waren insgesamt nur sechs Personen bei diesem Nachtmahl: Conrad und seine Verlobte, die sehr belesene Margaretha Welser, hatten als Gastgeber die beiden Plätze an den Schmalseiten der Tafel eingenommen. Zwischen ihnen saßen auf der einen Seite der angesehene Patrizier und Fuggernachbar Wilhelm Artzt und seine hübsche, junge Tochter Sibylle. Auf der anderen Seite war Jakob neben die eigentliche Herrin dieser Familie platziert worden. Sie trug denselben Vornamen wie ihre Tochter, ließ ihn aber mit »a« enden.
Vom ersten Augenblick an führte sie das Wort innerhalb der kleinen Abendgesellschaft, obwohl Peutinger als Anlass vorgeschoben hatte, dass er den Beschluss des Stadtrats von Augsburg feiern wollte, ihn zum Stadtschreiber auf Lebenszeit zu ernennen. Die offizielle Ernennung war bereits Anfang September erfolgt, und mittlerweile fielen bereits die Blätter von den Bäumen, und erste Nachtfröste kündigten den Winter an.
Conrad Peutinger hatte auch schon zuvor die Protokolle des Rats von Augsburg verfasst, wichtige Korrespondenzen geführt und die Schuldbriefe und Kaufakten der reich gewordenen Stadt in Ordnung gehalten. Er hatte sich sogar in der Kirche Sankt Ulrich und Afra für die Markttage eine Schreibstube zwischen den Säulen einrichten lassen. Hier konnten einfache Bürger ihm diktieren, welche Anliegen und Petitionen sie vorzubringen hatten.
Er hatte sich um die Armen ebenso wie um die schwierigen Rechtsfälle gekümmert und war im Auftrag der Stadt bei verschiedenen Gesandtschaften zu den Reichstagen, zum Schwäbischen Bund und bis zum Papst nach Rom gekommen. Gleichzeitig war er aber auch Freund und Berater von König Maximilian geworden. Jakob konnte sich auch beim besten Willen nicht vorstellen, was die Familie Artzt mit den vielfältigen Tätigkeiten Conrads zu tun haben sollte. Sie war, soweit er wusste, auch noch nie zuvor in seinem Haus zu Gast gewesen.
»Weißt du, wo ich dich zum allerersten Mal gesehen habe, Jaköble?«, plauderte Sibylle Artzt. »Wir müssen beide damals etwa vierzehn Jahre alt gewesen sein, als du mich beim Besuch von Kaiser Friedrich III . mit seinem Sohn Maximilian und den tausend halb zerlumpten Österreichern fast auf der Straße umgerannt hast. Erinnerst du dich noch? Du hattest gerade die Tonsur bekommen, und bei meinem Vater wohnte ein junger Kaufmann aus Florenz – aus der Familie Medici, was ja in der welschen Sprache ebenfalls Arzt heißt.«
Jakob verzog kaum merklich sein Gesicht. Seit er denken konnte, waren ihm die Nachbarn vom Haus am Rohr wie aus einer anderen Welt vorgekommen. Die Familie war mit dem Zunftmeister Ulrich Artzt verwandt, der sich inzwischen auffällig für das Amt des Bürgermeisters und Verbindungen zum Schwäbischen Bund interessierte.
Wilhelm Artzt und seine Ehefrau, eine geborene Sulzer, waren keineswegs arm, aber weit weniger erfolgreich als ihre Nachbarn. Dennoch hatten sie sich immer um ein Vielfaches wichtiger gefühlt als die Fugger von der Lilie. Jakob hatte nicht einmal geahnt, dass die Tochter des Hauses inzwischen bereits über das in Augsburg übliche Heiratsalter von siebzehn Jahren hinaus war. Offiziell galt sie als achtzehnjährig, einigen Gerüchten zufolge konnten es aber durchaus auch zwei oder drei Jahre mehr sein …
Er sah sie an und musste zugeben, dass sie hübsch und gottgefällig, aber für sein Empfinden ein wenig zu herausgeputzt war. Unwillkürlich verglich er sie mit seinen Erinnerungen an Caterina Cornaro. Beide Frauen waren ohne jede Frage seiner Aufmerksamkeit wert, aber bei beiden glaubte er zu erkennen, dass sie seinem Ideal weiblicher Reinheit nicht in vollkommener Weise entsprachen – wie der Juwelier kaum wahrnehmbare Schatten in edlen und geschliffenen Steinen wahrnimmt. Bei Caterina wusste er, dass sie noch immer um ihren in venezianischem Auftrag vergifteten Gatten und den grausam von ihr gerissenen Sohn trauerte. Aber was
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