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Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Titel: Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Gast
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können, war ein Erlebnis, das ich auf meiner bisherigen Pilgerschaft noch nicht kennen gelernt und erfahren hatte. Denn wie ich so alleine im Zwielicht der Landschaft dahin wanderte, schien alle Existenz in einen Weg mit meiner Seele, meinen Erinnerungen zu verschmelzen. Zwar war der Mond schon aufgegangen, das fahle Abendlicht im Westen wies mir jedoch lange noch deutlich den Weg. Wie frei und unbefangen sich der Mensch doch in der Obhut Gottes bewegen kann, wenn er sich selbst nicht reglementiert. Die sternenklare Nacht, der hell leuchtende Mond, der gut erkennbare Wanderweg, alles war meiner romantischen Stimmung zuträglich. Um 2.00 Uhr konnte und wollte ich nicht mehr weiterwandern und biwakierte am Wegesrand.
     

Sonntag, den 30.05.:
     
    Um 7.00 Uhr krabbelte ich aus meinem Schlafsack, packte diesen sowie meine Isomatte zusammen und legte den restlichen, gestern nicht geschafften Weg vorbei an der Einsiedelei Virgen del Puente, die im Mudejarstil erbaut ist, und über eine kleine restaurierte römische Brücke nach Sahagún zurück. Um 8.30 Uhr waren die 22,5 km meiner gestern angedachten Strecke erwandert.
    Von Sahagún aus führte der Weg über die Ortschaften Calzada del Coto, Bercianos del Real Camino nach El Burgo Ranero. Wie das trübe Wetter und die eintönige Landschaft war auch mein Gemütszustand. Meine Füße und Beine schmerzten. Selbst die vereinzelten Sonnenstrahlen am Nachmittag vermochten meine Psyche nicht aufzuheitern. Auch veranstaltete ich mit einem anderen Pilger auf dem schnurgeraden Weg ein kleines Elefantenwettrennen. So liefen wir beide eine unsäglich lange Zeit nebeneinander her, ohne mit Ausnahme eines Buen Camino zu Anfang ein Wort zu wechseln. Keiner von uns wollte sein Marschtempo herunter schrauben; keiner vermochte einen Zahn zulegen. Ohne zu Murren nahmen die uns Nachfolgenden unsere Wegblockade hin und wichen zum Überholen auf den Wegrand aus. Irgendwann machte sich mein ein Promille stärkerer Antrieb bemerkbar, so dass ich endlich an ihm vorbei ziehen konnte.
    Die Türen der Einsiedelei Nuestra Señora de Perales standen weit offen, wodurch meine Neugierde geweckt wurde. Als ich mich in einer Hinterbank zum stillen Dankgebet über den seither glücklichen Verlauf meiner Pilgerschaft niedergelassen hatte, kam ein Prozessionszug auf das Kapellenportal zu. Voran wurde eine riesige Fahne gefolgt von einer Heiligenstatue getragen. Die Prozessionsgemeinschaft zog mit der Statue in die Kapelle ein, sprach ein Gebet, sang ein Lied und verließ den Sakralraum wieder in Richtung Bercianos del Real Camino allerdings nunmehr mit einer anderen, schlichten, nicht mit Krone und Strahlenkranz sowie Stoffmantel geschmückten Frauenfigur.
    Einzig meine Vorfreude auf ein hoffentlich eigenes Zimmer mit Dusche in einem Hostal oder einem billigeren Hotel trieb mich weiter vorwärts. Auf einem Betonsockel eines Verkehrszeichens war in großen gelben Lettern geschrieben: Santiago 315 km. Dieses war wohl ein pfiffiger Werbetrick der hiesigen Gastronomen, um die Pilger zur Einlegung eines Ruhetages zu ermuntern. Nach meinem Reiseführer müssten es noch an die 400 km bis Santiago de Compostela sein.
    Wahrscheinlich zur Erinnerung an einen im Jahre 1998 auf seiner Pilgerschaft hier Verstorbenen fand sich ein Gedenkstein mit einem deutschen Nachnamen am Wegesrand. Als ich mir den Stein so betrachtete, fiel mir folgendes Gedicht ein:

     
    „Wer sonst kann uns den Glauben zeigen, der uns stärkt?
    Nicht in der totalen Vergessenheit, nicht in der äußersten Nacktheit sondern den Spuren der Wolken des Ruhmes folgend, kommen wir von Gott, der unsere Heimat ist.
    Auch wenn die unvergesslichen Stunden im Gras, die Herrlichkeit der Blumen unwiederbringlich sind, werden wir nicht trauern sondern schöpfen Kraft aus dem, was hinter uns bleibt:
    Im ursprünglichen Mitgefühl, das immer da gewesen sein muss, in den tröstlichen Gedanken, die den menschlichen Leiden entspringen, im Vertrauen, das über den Tod anhält, und Dank des menschlichen Herzens, durch das wir leben. Dank seiner Zärtlichkeit, seiner Ängste und seiner Freuden!
    Kann mehr auch die kleinste Blume, die erblüht, Gedanken bringen, die zu oft, zu tief, unter Tränen vergraben sind?!“
     
    In Bercianos del Real Camino stach mir ein Wegweiser zur hiesigen Herberge ins Auge. Sollte ich mich wirklich bis zur nächsten Ortschaft weiter quälen, nur um endlich wieder einmal den Unannehmlichkeiten einer Herberge insbesondere wegen dem

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