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Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Titel: Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Gast
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vorzustellen. Er war seither immer als der „Herr aus Luxemburg“ und ich als der „deutsche Herr mit den zwei Rucksäcken“ in unseren Reiseberichten gegenseitig bezeichnet worden. Nikolaus mit Rufnamen Nick hatte sich bereits verabschiedet, als mich die Badenserin dergestalt bemutterte, dass sie mir ein steriles Pflaster gegen meine Blutblase an meiner rechten Fußsohle schenkte und mich mit guten Ratschlägen zur Blasenbehandlung überhäufte.
    Meine gestrige Trödelei hatte meinen Tagesrhythmus ein wenig durcheinander gebracht, so dass ich erst heute Vormittag meinen Tagesbericht von gestern niederschreiben und mich erst am Spätnachmittag auf den Weg machen konnte. Schon jetzt stand mein Entschluss fest, dass ich im 22,5 km entfernten Sahagún ein Hotel- bzw. Pensionszimmer beziehen wolle. Der morgige Sonntag sollte für mich der Tag des Herrn bleiben und durch einen sicherlich spät stattfindenden Gottesdienstbesuch gewürdigt werden. Vorsorglich schrieb ich meine Anschrift auf einem Kassenbon nieder, um ihn Nick bei nächster Gelegenheit aushändigen zu können. Ich wollte erfahren, ob er seine Reise nach Santiago de Compostela wunschgemäß absolvieren konnte. Für mich war eine kumpelhafte Beziehung zu Nick entstanden, ohne dass man diese als freundschaftlich im eigentlichen Sinne bezeichnen hätte können. Er war einer meines Schlages. Unbeugsam und doch diplomatisch genug, nirgends anzuecken, wobei ihm seine vielfältigen Fremdsprachenkenntnisse sicherlich unentwegt zum Vorteil gereichten.
    Ich hingegen war permanent auf mich alleine gestellt, meine Weltanschauung aber insbesondere meine Wünsche und damit mich selbst mangels ausreichenden Fremdsprachenkenntnissen niemals kundtun zu können. Ich dachte und dachte. Trotz meiner bisherigen Wanderschaft konnte ich mich immer noch nicht von den Gedanken an mein Berufs- und Alltagsleben lösen. Womöglich werde ich meine Raucherei erst dann bezwingen können, wenn ich mich endgültig von meinem seitherigen Lebenswandel nicht nur losgesagt sondern dieses auch in die Tat umgesetzt haben werde. Nichts desto trotz spendierte mir ein Barangestellter um 16.00 Uhr noch ein letztes Bier, als ich ihm versicherte, dass ich die noch bevorstehenden ca. 23 km nach Sahagún heute noch schaffen würde. Und wenn ich die Nacht durchlaufen müsste! Ich werde diese Strecke schaffen! Und dieses war mein fester Wille!
    Als ich unterwegs mein Abendvesper zu mir nahm, huschten an mir unerkennbar für mich zwei tierische Gestalten vorüber, so vermeinte ich jedenfalls. Waren es die beiden Hunde von gestern?
    Um 18.45 Uhr verhieß der Himmel in der 6,5 km entfernten Ortschaft Ledigos keinen Regen, der Wind war lau und die nunmehr zunehmend leicht hügelig werdende Landschaft war von abendlichem Sonnenschein erfüllt. Um mir mein spendiertes Bier auch tatsächlich verdient zu haben, musste ich weiterziehen. Ein kleines Nickerchen auf einem am Straßenrand Vorgefundenen Heuhaufen stand diesem nicht entgegen. Wie üblich war auch diese Landstraße wenig frequentiert, so dass ich ausschließlich vom Rauschen der Blätter des Baumes, unter dem ich lag, vom Wind und vom Vogelgezwitscher sanft in den Schlaf gewogen wurde. Ich fühlte mich trotz den auf dem Jakobsweg gleichfalls angetroffenen gesellschaftlichen Zwängen erneut frei und ungebunden.
    Der Duft des Heues drang in meine Nase. Das friedvolle Gespräch dreier alter Bauern in einiger Entfernung beruhigte mein Gemüt. Ich war alleine und doch unter Menschen. In dieser bäuerlich geprägten Gegend erschien mir unsere Industriegesellschaft mit den Internetcafes etc. trotz dem Manko, in der hiesigen Landwirtschaft als junger Mensch nicht sein tägliches Auskommen finden zu können, bedeutungslos. Ich fühlte mich als Teil dieser gelebten und nicht musealen Gesellschaft. Hierzu bedurfte es nicht unbedingt einer persönlichen, intimen Beziehung zu diesen Menschen. Alleine die Ausstrahlung dessen, was sie verkörpern oder verkörpern wollen, war für mein Empfinden ausschlaggebend. Ich verfiel in einen kurzen erholsamen Tiefschlaf.
    Mit Beginn der Abenddämmerung setzte ich meinen Weg fort. Die nach blühenden Gräsern und Heu duftende, würzige Luft, der laue mir ins Gesicht wehende Wind, der immer vor mir hergehende und dennoch langsam am Horizont versinkende, von seiner Leuchtkraft immer schwächer werdende, gelbe Sonnenball, die Einsamkeit und vor allem auch das Bewusstsein, einsam und ruhevoll den restlichen Weg beschreiten zu

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