Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
nächtlichen Schnarch- und dem all zu früh morgendlichen Raschelkonzert entgehen zu können? Hier vor Ort gab es keine Alternativen zur Herberge.
Ich setzte mich in eine Bar, um hierüber nachzudenken und meinen durch die Wanderstrapazen ständigen Durst mit einem Coca-Cola zu löschen. Auch mussten meine beiden Halbliterwasserflaschen nachgefüllt werden. Da nach meinen Kenntnissen auf dem Camino sämtliche Brunnen mit Trinkwasserqualität aus dem öffentlichen Wassernetz gespeist werden, blieb es sich gleich, ob ich meine Wasserflaschen am Brunnen oder am Wasserhahn eines Waschbeckens in einer Toilette auffüllte.
Ca. eine halbe Stunde lang erforschte ich meinen Willen bis fest stand, dass ich weiterziehen werde. Ich wollte es mir beweisen. Schließlich befand ich mich auf einer Pilgerschaft und musste wohl oder übel mit diesen kleinen und doch schmerzhaften Wehwehchen an meinen Füßen leben, zumal hiervon keine gesundheitlichen Folgeschäden zu erwarten waren. Der Spruch „Wir Pilger sind hart im Nehmen“ musste auch für mich gelten, derweil jeder einzelne Kilometer, mit dem ich mich Compostela näherte, nicht nachteilig sein konnte. Auch konnte ich die nächsten 8 km erneut auf einer wenig befahrenen Gemeindeverbindungsstraße zurücklegen, wodurch meine Füße auch weiterhin von den vielen, spitzen und großen Steinen auf dem dicht neben der Straße verlaufenden Jakobsweg verschont bleiben würden.
Hinkend, humpelnd, ächzend, stöhnend und mit unzähligen Zwischenstopps waren auch diese insgesamt 19 Tageskilometer bravourös gemeistert.
In Bercianos del Real Camino traf ich Nick und die Badenserin wieder, die mir beide sofort bei meiner Suche nach einer Schlafstatt mit Rat und Tat zur Seite standen. Trotz Überbelegungen der Albergue, wie die Pilgerherbergen hier heißen, aber auch der örtlichen Hostals fand sich auch dieses Mal eine Matratze für mich. Mein Unbehagen, wegen des fehlenden, gestrigen Tagesstempels möglicherweise heute diesen verwehrt zu bekommen, erwies sich als unbegründet. Obgleich ich nicht in der Albergue logierte, wurde mir angeraten, dort den unbeaufsichtigt herumliegenden Stempel doch einfach selbst zu gebrauchen. So schmückt nun ein Kopf stehendes Siegel mit selbst eingetragenem Datum meinen Pilgerpass.
Nachdem ich mich frisch gemacht und meine besten Kleider angezogen hatte, gesellte ich mich an den Tisch mit Nick und einem Nürnberger Radfahrer im Restaurant unweit meiner Unterkunft. Der Nürnberger war angeblich gebürtiger Lothringer. Sein Bruder betreibe ein Schuhgeschäft in Eppingen, der Stadt, in der ich meine letzten Schuljahre verbracht hatte. Durch vorangegangene Zeitungskampagnen mitermöglicht wären sämtliche seiner seit Nürnberg gefahrenen bzw. bis Compostela noch zu fahrenden Radkilometer für einen sozialen Zweck mit der Maßgabe gesponsert, dass die Strecke Nürnberg-Santiago de Compostela innerhalb 20 Tagen von ihm abgestrampelt werde. Meine Mattigkeit schien sich auch auf meine Fingerfertigkeiten ausgewirkt zu haben, so dass ich mein nagelneues, erstmals getragenes, einzig kurzärmliges Nobelhemd mit Kragen beim Herauspulen des Fleisches der in meiner Suppe mit Meeresfrüchten schwimmenden Garnelen verspritzte.
Zurück in meiner Unterkunft musterte mich ein mir Unbekannter und meinte leicht sarkastisch auf Englisch: „Ein hübscher Pilgersmann!“
Als ich mich endlich meinen Füßen näher widmen konnte, war ich entsetzt angesichts der vielen, zusätzlichen Blut- und Wasserblasen, die sich in meinen beiden völlig verhornten Fußfersen gebildet hatten. Meine gestern noch hart sich angefühlt habende Blutblase an meiner Fußsohle war aus mir unerklärlichen Gründen ohne geplatzt zu sein wieder weich geworden. Beim Aufstechen meiner verhornten, der Nadel heftigen Widerstand leistenden Blasen bildeten sich kleine wässrigblutige Lachen auf dem Fußboden. Notdürftig verarztet legte ich mich zum Schlafen nieder.
Montag, den 31.05.:
Heute Morgen, kurz nach dem Aufstehen, meinte der Nürnberger von gestern Abend, mit dem ich neben zwei anderen das Zimmer für diese Nacht geteilt hatte, ich könnte doch nicht mit diesen Füßen weiter wandern, worauf ich ihm entgegnete, dass mir der ganze Tag zur Verfügung stehe und ich es wohl fertig bringen würde, zehn Kilometern trotz meinem Handikap zurück zu legen.
Als ich in unserem gestrigen Restaurant mein Frühstück, das wie in letzter Zeit des Öfteren bis zur Mittagszeit mit zusätzlich einigen
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