Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
etymologisch die Sprache des Volkes bedeutet, womit die Sprache der Schwaben dem Hochdeutsch zweifelsohne ebenbürtig sein muss, auch wenn durch die Metabiose Ost- und West-Deutschlands die Anzahl der von Hause aus Hochdeutsch Sprechenden erdrückend geworden ist.
Der Süden liebt nun einmal die Pluralität auch im Geiste und der Sprache; der Norden die Uniformität mit dem immerwährenden Unterton: Alles hört auf mein Kommando! Dieses meines Erachtens gravierendste Unterscheidungsmerkmal des Nordens vom Süden ist auch nicht wegschwätzbar! Gesprochenes Schwäbisch ist gegenüber Hochdeutsch äußerst schwach; Geschriebenes aus eigenen Reihen beweist jedoch, wir sind vom ersten Fach!
Das Ende des Liedes war die Abschlussfrage des Norddeutschen: „Bist Du Germanist?“ Worauf ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte: „Ein schwäbelnder Germanist! Mal was Neues!“
Warum eigentlich nicht? Schiller ist doch das beste Beispiel hierfür! Schon Goethe beschwerte sich ständig über dessen gesprochenes und für ihn unverständliches Schwäbisch. Und dennoch steht Schiller vor Selbstbewusstsein strotzend erstaunlicher Weise neben Goethe auf dem deutschen Dichterfürstenthron zumindest in Weimar.
Da ich noch nicht geneigt war, mich für heute zur Ruhe zu setzen, verabschiedete ich mich kurz und zog weiter. Die weit auseinander gezogenen, grünen Berghänge, die natursteinernen Bergbauernhöfe und kleinen Bergdörfer mit ihren Kapellen, die mit Kuhfladen bedeckten Dorfstraßen, der allgegenwärtige Stallgeruch in den Dörfern, die auf den Almen grasenden Kühe, die im Schatten der Häuser am Straßenrand dösenden Hunde, der Wind und der blaue Himmel luden förmlich zum Weiterwandern ein. Es machte mir richtig Spaß, mich bei diesem Ambiente in der frischen Luft bewegen zu können, zumal ich mich wie so oft hinsichtlich der fortgeschrittenen Tageszeit alleine auf dem Wege befand und die Stille der Berge meine romantische Stimmung noch verstärkte. Einzig Vogelgezwitscher, Gebimmel von Kuhglocken und ab und zu ein Hundegebell waren zu vernehmen. Wen verwundert es, dass ich auf meinem Wege die meiste Zeit vor mich hin sang oder hin pfiff, wobei sich mein Schritttempo demjenigen der Melodie anpasste. Selbst Kirchenchoräle wurden in Marschrhythmen geträllert. Die gefühlsmäßige Überladung meiner Pilgerschaft hatte ich abgestreift. Vielleicht neigen wir Deutsche gerne dazu, Begriffe zu sentimentalisieren. Ich fühlte mich glücklich und war dennoch ein Pilger. Maßgebend für meine Jakobspilgerschaft wurde für mich mein Bestreben, innerlich ausgeglichen und zufrieden am Grabe des Heiligen Jakobus zu Fuße und mit meinem Gepäck anzukommen. Seither hatte ich bewusst oder unbewusst immer dazu geneigt, den religiösen Aspekt meiner Pilgerschaft als eine selbst gewollte Bürde zu betrachten. Hat Gott den Menschen nicht dazu erschaffen, sich vorrangig an seiner Schöpfung zu erfreuen und zu labsalen? Sicherlich bilden Freud und Leid ein untrennbares Ganzes. Denn ohne das eine könnte man das andere nicht verstehen bzw. begreifen. Meine Pilgerschaft sollte durch die Aufrichtigkeit Gott gegenüber gerechtfertigt sein und auch bleiben. Viel zu hoch hatte ich seither den vermeintlichen Maßstab anderer für meine Pilgerschaft selbst gesetzt. Zu den Mühen des ständigen Wanderns gehören auch die Annehmlichkeiten des Lebens, ohne sich selbst als aus der Pilgerschaft ausgeschlossen betrachten zu müssen. Nach Passieren eines Entfernungssteines, der noch 137 km bis Santiago de Compostela anzeigte, kehrte ich in einem Hostal in der Ortschaft Viduedo ein.
„Prost!“ rief mir ein Deutscher von seinem Hostalzimmerfenster aus zu, als ich gerade zum ersten Schluck aus meinem Bierglas ansetzte. Vor Zimmerbezug hatte ich meine beiden Rucksäcke auf eine Bank an der Barwand hinter mir hin geknallt und mir es auf der Terrasse der Hostalbar gemütlich gemacht, um den Abend noch in vollen Zügen zu genießen. Der deutsche Herr gesellte sich zu mir und erzählte ein wenig von seinem Rentnerdasein. Seit fünf Jahren befände er sich im Ruhestand und sei seither permanent auf der Wanderschaft gewesen. Sein Kontakt nach Deutschland wäre abgebrochen. Den letzten Winter hätte er hier in dieser Gegend überwiegend in den Herbergen verbracht. Sich selbst bezeichnete er als „Luxusvagabund“. Obgleich ich ihn ausdrücklich zu einem Glas Bier eingeladen hatte, musste ich nach einer Äußerung der Wirtin zur Kenntnis nehmen, dass er ohne
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