Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
hiergegen Schutz.
In einer Bar, in der ich eine Verschnaufpause einlegte, setzte sich ein Spanier zu mir und fing ein Gespräch an. Die letzten 6 km bis zur Herberge in Santa Irene legten wir bei strömendem Regen gemeinsam zurück. Zwar erleichterte mir der Gleichschritt die Wandermühen, jedoch führte er auch dazu, dass ich mich ausschließlich auf den Zustand des Weges konzentrieren musste und nicht das landschaftliche Umfeld betrachten konnte. Klitschig nass erreichten wir endlich eine kostenpflichtige Privatherberge in Santa Irene, in der man nicht nur schlafen sondern auch warm zu Abend essen und frühstücken konnte, was ich auch tat. In Galicien nämlich werden den Pilgern die öffentlichen Herbergen gratis zur Verfügung gestellt, wobei allerdings eine Spende nicht verachtet wird. Ich für meinen Teil wollte die Großmut der Galicier nicht ausnutzen und spendete immer einen Betrag in angemessener Höhe.
Mittwoch, den 23.06.:
Es war schon ein sonderbares Gefühl, zu wissen, dass heute die letzte Tageswanderung vor meinem Pilgerziel bevorstand. Mein Gefühlszustand entsprach annähernd demjenigen, den man als Kind einen Tag vor der weihnachtlichen Bescherung hatte. Von der Vorfreude inspiriert, begab ich mich auf den Weg. Meine gestern kennen gelernte Wanderbekanntschaft wollte heute Mittag an der Pilgermesse in der Kathedrale von Santiago de Compostela teilnehmen, während mein heutiges Etappenziel der etwa 5 km vor Compostela liegende Monte do Gozo war. Auch bekenne ich frei, dass ich ein wenig befürchtet hatte, ich müsste die Fortsetzung unserer gestrigen gemeinsamen Wanderung ablehnen, sollte er mir dieses anbieten. Bei seinem Wandertempo von durchschnittlich 5 Stundenkilometern mit äußerst wenigen Verschnaufpausen wäre ich unter einen Leistungsdruck geraten, dem ich möglicherweise konditionell nicht standhalten hätte können und der mich damit einem erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt hätte. Ein körperlicher Schwächezustand bedingt auch eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit, die ihrerseits wiederum oftmals zu unnötigen Unfällen führt.
Beim ersten Schweiß griff ich wie gewohnt zwischen meinen Bauch und den Rucksack davor, um mein Schweißtüchle hervor zu ziehen. Ich griff ins Leere. Es lag noch in der Herberge. Ein Zurück gab es für mich nicht. Später griff ich in meine Hosentasche, um auf meine Armbanduhr zu schauen. Auch sie fehlte. So erreichte ich noch mehr verarmt den Berg der Freude, den Monte do Gozo, von dem aus die mittelalterlichen Pilger erstmals Santiago de Compostela sahen. Ich hingegen musste erst fragen, wo denn nun überhaupt Compostela liege. Ein Wäldchen verdeckte den Blick auf die Altstadt völlig.
Als ich den ein wenig unterhalb des Gipfels des Monte do Gozo funktional angelegten, riesigen Herbergskomplex betrat, verspürte ich ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Einmal werde ich noch wach, heißa dann ist Ankunftstag!
Donnerstag, den 24.06.:
Wie ein Kind sprang ich sogleich nach Erwachen zum Fenster. Was ich zu sehen bekam, hob mich aus den Socken: Nebel und Regen. In meiner Phantasie hatte ich mir einen Einzug auf dem Vorplatz der Kathedrale von Santiago de Compostela bei strahlendem Sonnenschein mit einem großen Pilgerwanderstab ausgemahlt. Den Stock hatte ich mir in der Schnarchstadt Monte do Gozo besorgen wollen. Auch dieses ging in die Binsen.
Nach dem Frühstück hatte sich der Nebel verzogen und der Regen aufgehört. Um den heutigen Tag dennoch ein wenig würdigen zu können, heftete ich meine rechte Hutkrempe hoch.
Wie Ameisen zogen wir Pilger einer nach dem anderen den Berg hinab durch den Vorstadtmoloch Santiago de Compostelas in Richtung Kathedrale. Beim erst besten „Telebank“-Geldautomaten scherte ich zum Geldabheben aus. In einem kleinen Laden am Straßenrand erspähte ich einen repräsentativen Pilgerstock mit einer Kalabasse, einer Kürbisflasche, die die Pilger des Mittelalters als Wasserflasche mit sich führten. Zur Feier des heutigen Tages schmückte ich meinen Pilgerstab mit Kunststoffblumen. Spleenigkeit darf in Anbetracht dieser besonderen, in meinem Leben herausragenden Situation ruhig ein wenig sichtbar gelebt werden, dachte ich bei mir. Denn irgendwie sind wir Wanderpilger doch alle ein wenig verrückt, vor allem für mittelalterliche Pilger, die kaum Verständnis für unsere selbst auferlegten Qualen und Gefahren des Weges aufbringen gekonnt hätten, da man doch bequem und sicher ans Grab Santiagos z.B. mit
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