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Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Titel: Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Gast
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hierfür jedoch keine Quittung. Allerdings erschien es mir sehr unwahrscheinlich, dass die Herbergsverwaltung sich die Mühe machen und meine sämtlichen, im Schrank untergebrachten Kleidungsstücke, meine Wanderstiefel e.t.c. verpacken und hernach alles als Pfand an sich nehmen würde. Ich musste also bestohlen worden sein. Aber weshalb hatte der Dieb meine Rucksäcke gepackt und meinen wertvollsten Gegenstand, meinen Schlafsack auf dem Bett liegen gelassen? Ich überlegte die ganze Nacht hindurch hin und her und kam zu keinem plausiblen Ergebnis. Am meisten bedauerte ich, dass ich nunmehr keine Compostela mehr besaß. Auch mein Pilgerpass nebst Fahrkarte war im Bauchrucksack verstaut gewesen. Mir verblieb lediglich mein Handy, mein Photoapparat, meine Filme, mein Reisetagebuch, sämtliche Bücher, mein Personalausweis nebst Scheckkarte und mein Portmonee.
    Um am nächsten Morgen nicht auch noch ohne Hose und Hemd dazustehen, packte ich beides in meine Stofftasche, in der ich die mir verbliebenen Gegenstände den Abend über mit mir führte. Die volle Tasche hielt ich krampfhaft die Nacht über in meinem Schlafsack zwischen den Beinen fest. Schlafen konnte ich ja doch nicht. Ich war permanent bemüht, eine schlüssige, logische Erklärung für diese Ungereimtheiten zu finden. Meine Mühe war vergebens.
     

Samstag, den 26.06.:
     
    Sehr früh konnte ich einem Hinweisschild entnehmen, das vor Diebstahl von auch nur kurzeitig unbeaufsichtigtem Gepäck eindringlich warnte. Da die Herbergsleitung noch nicht zugegen war, packte ich meine Habseligkeiten zusammen und verließ die Herberge mit Groll.
    Ich musste versuchen, anhand meines Personalausweises eine Ersatzausfertigung meiner Compostela sowie eine neue Heimreisemöglichkeit zu bekommen. Ohne Pilgerpass oder Compostela würde es mir zuhause niemand glauben, dass ich die gesamte Strecke von Saint-Jean-Pied de Port bis hierher zu Fuß zurückgelegt hatte. Auch hielt ich es für ratsam, von meinem ins Auge gefassten Inserat in unserem Schwaigerner Amtsblatt über den Erfolg meiner Fernwanderung abzusehen.
    Karin, eine Camino-Bekanntschaft, kam plötzlich erfreut über unser Wiedersehen rufend hinter mir hergelaufen und beglückwünschte mich zu meiner Ankunft. Hierauf entgegnete ich ihr aufrichtig, dass mir nicht nach Freudesausbrüchen zu Mute sei, worauf sie mich sogleich bat, über mein Missgeschick doch im nahen Cafe zu erzählen, in dem sie mit ihrer Pilgerfreundin gerade frühstücke. Bei unserem Gespräch fiel es mir auf einen Schlag wie Schuppen von den Augen. Bei meinen Überlegungen war ich seither immer davon ausgegangen, dass das Bett, auf dem ich gestern Nacht meinen Schlafsack vorgefunden hatte, dasjenige sein müsse, welches ich gestern reserviert hatte. Vielleicht hatte jemand ohne mich hierüber in Kenntnis zu setzen, meinen Schlafsack auf ein benachbartes Bett gelegt, so dass ich möglicherweise im falschen Bettschrank nachgeschaut hatte. Dennoch erbat ich vorsorglich im nahe gelegenen Pilgerbüro eine Ersatzausstellung meiner Compostela, die mir allerdings unter dem Hinweis, ich möge wegen des Pilgerandrangs diesbezüglich am Nachmittag wieder kommen, zugesagt wurde. Das Auffinden meiner Ausstellungsdokumente wäre lediglich anhand meiner Reiseangaben und meiner mit meinem Personalausweis dokumentierten Personalien äußerst zeitaufwendig.
    Wieder Hoffnung schöpfend, begab ich mich zurück zur Herberge. Und siehe da, meine sämtliche Bagage befand sich tatsächlich wie von mir eingeräumt in einem Bettschrank drei Betten weiter. Obgleich für mich Weihnachten und Ostern in diesem Augenblick des Wiederauffindens zusammenfielen, verspürte ich dennoch ein leichtes Geschmäckle der Enttäuschung; ich hatte meine „Scheiße“ notgedrungener Maßen wieder. Irgendwie schien für mich der Umstand meiner erzwungenen, von mir bereits akzeptierten Besitzlosigkeit ausgenommen meiner Compostela, meines Pilgerpasses und meines Rückreisetickets auch ein Stück Befreiung von Vergangenem, vom Gebundensein an Wertvorstellungen, derer ich zum Zufriedensein nicht bedarf, bedeutet zu haben. Karin, Alice, jeden, den ich vom Camino her kannte, musste ich an meiner Freude teilhaben lassen.
    Wie geplant bestieg ich nachmittags den öffentlichen Bus nach Finisterra. Der Fahrplan wies ein einmaliges Umsteigen aus. Fünfzehn Kilometer vor Finisterra teilte der Busfahrer mit, dass wir ein zweites Mal umzusteigen und auf den Anschlussbus in ca. zweieinhalb Stunden zu

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