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Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Titel: Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Gast
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öffentlichen Verkehrsmitteln gelangen und sich dieses auch leisten kann.
    So zog ich in die Altstadt Santiago de Compostelas ein. Mit jedem Schritt und mit jedem Stockgeklapper auf den Pflastersteinen entschwand ich langsam unserer irdischen Sphäre. Beim Dahinschlendern schaute ich nach links und nach rechts und entrückte immer mehr dieser Welt.

    Urplötzlich schaute ich in eine große Linse einer riesigen Film- oder Videokamera, was mich in die Gegenwart zurückholte. Ich war über mich selbst überrascht. Für einen Moment schien das Glück bei mir eingekehrt gewesen zu sein. Ohne mir dieses Umstandes bewusst gewesen zu sein, war ich für einen Augenblick wirklich von Zeit und Raum geistig losgelöst. Meine seelische Entspanntheit und Harmonie hielt jedoch trotz meinem wiedererlangten Bewusstsein unvermindert an.
    Was ich beim Erreichen des Entfernungssteines 0 km auf dem Kathedralenvorplatz empfand, vermag ich nicht zu beschreiben. Es war ungeheuerlich! Einfach fantastisch! Gigantisch! Dieses Gefühl wollte ich mir so lange wie möglich bewahren und verbrachte stundenlang meine Zeit auf dem Kathedralenvorplatz. Irgendwann holte ich mir meine Pilgerurkunde, die sogenannte Compostela.
    Unzählige auf dem Camino nur kurz angetroffene Menschen so auch Alice traf ich hier wieder und alle strahlten die gleiche Zufriedenheit um nicht zu sagen Glückseligkeit aus. Warum sollte ich meine heutige, unwiederbringliche Stimmung zerdenken oder gar zerreden? Spare ich mir dieses ebenso wie die Organisation meiner Rückreise aber auch den Besuch der Kathedrale und des Grabes des Heiligen Jakobus doch lieber für morgen auf. Heute galt mein Sinnen ausschließlich dem Genießen des Geschaffthabens.
    Entgegen meiner Absicht drängte mich Alice, an der 18.00 Uhr Pilgermesse in der Kathedrale teilzunehmen, weil wir als stolze Neubesitzer der Compostela womöglich namentlich ins Gebet eingeschlossen werden könnten. Hierzu musste ich jedoch irgendwo mein Gepäck deponieren, denn mir wurde gesagt, dass man aufgrund der strengen Sicherheitsvorkehrungen seine Bagage weder an den Pforten der Kathedrale unterstellen noch in diese mit hinein nehmen dürfe. Im Pilgerbüro endlich, in dem man die Compostela erhält und das sich trotz meinem Bitten und Betteln offiziell nicht zur Gepäckaufbewahrungsstelle umfunktionieren lassen wollte, fand ich dennoch eine unbeaufsichtigte Abstellmöglichkeit.
    Wie Alice und ich hatten viele andere auch keinen Sitzplatz in der vollbesetzten Kathedrale ergattern können, die von einer spürbar friedvollen, gesegneten und in sich ruhenden Atmosphäre erfüllt war. Während der Pilgermesse erklangen Melodien wie an Weihnachten bei uns zuhause. Auch das Sanctus aus Schuberts Deutscher Messe wurde von einem Kinderchor mit Orgelbegleitung angestimmt. Ich schmolz zusehends dahin wie Butter! Diese Stimmung musste doch den stärksten Bullen umhauen! Mir schossen die Tränen in die Augen. Sie liefen beide Wangen hinab, so dass ich sie mit den Händen abwischen musste. Meiner Gefühlsregung ließ ich freien Lauf. Ich hatte auch keine Kraft, ihr zu wehren. Meine Kiefer zitterten kurzzeitig, als ich glücklich vor mich hinflennte. Der tränenverschwommene Anblick des etwa von acht uniformierten Männern in Schwingung versetzten Botafumeiro, eines etwa 70 cm hohen, von der Kreuzmitte des Kathedralengewölbes an einem langen Seil frei herabhängenden Weihrauchfasses, der hoch und weit durch den Raum des Kathedralenquerschiffs schwang und seine würzige Weihrauchschwaden schäfchenwolkengleich hoch oben im Kathedralengewölbe verbreitete während die Orgel erschallte, gab mir den Rest.
    Hier also stand ich: ein Häufchen Elend gestellt in Raum und Zeit, unter all den anderen mit zerfließendem Herzen, mich in dieser himmlisch anmutenden Atmosphäre verlierend, unter Tränen lächelnd wunschlos glücklich. Ich war auf eine sonderbare Weise verzückt. Zur Vollkommenheit hätte es nur noch der himmlischen Sphärenmusik von Engeln bedurft. Gegen Ende des Pilgergottesdienstes fing ich mich langsam, bis ich mein Gemüt letztendlich wieder im Griff hatte. Eine ältere, mir unbekannte Dame kam auf mich zu, legte mir vertraulich ihre Hand auf meinen Arm und sprach mich mit einer warmen und schönen Stimme allerdings in einer mir unbekannten Sprache an. Sie drückte mir unter ständigem Gestikulieren meines Flennens derart warmherzig ihre Mitfreude, ja sogar ihre anerkennende Bewunderung aus, dass ich hiervon beinahe erdrückt

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