Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles
warten hätten. Alice, die überraschend gleichfalls im Bus saß, organisierte sogleich ein Taxi, mit dem wir beide nebst zwei jüngeren Rucksacktouristen aus Österreich den Rest der Strecke zurücklegten. Ich stieg in Finisterras Herberge ab, während sich die drei anderen ein Privatquartier suchten.
Nachdem ich mich frisch gemacht und meine Ausgehkluft angezogen hatte, schlenderte ich hinab zum nahen Hafen und entdeckte ein feudal wirkendes Fischrestaurant, dem ich nicht widerstehen konnte, zumal dieses u.a. Jakobsmuscheln offerierte, welche ich in meinem Leben noch niemals verkostet hatte. Das Muschelfleisch war gegenüber den mir bekannten äußerst groß und süßlich schmackhaft zubereitet. Meine Rechnung fiel entsprechend gepfeffert aus, obgleich das Preis-Leistungsverhältnis zu stimmen schien. Jedenfalls ließ ich es mir äußerst gut gehen. Seit heute früh hatte ich mich vor lauter Frust über das Verschwinden meines Gepäcks nicht länger an mein Versprechen gegenüber dem Heiligen Jakobus gebunden gefühlt, mit dem Rauchen aufzuhören.
Sonntag, den 27.06.:
Bis um 10.00 Uhr hatte ich wie jeder andere die Herberge zu räumen. Die nahe Herbergslage am Meer bedingte eine Geräuschkulisse fast die gesamte Nacht über. Wer möchte es jungen Menschen verübeln, sich lautstark am Meer die Nacht über zu amüsieren. So suchte ich mir ein vom Meeresstrand weiter entfernt liegendes, preisgünstiges Hotel. Ein junger Spanier lief mir rufend hinterher und schwenkte einen Stab. Ich hatte doch tatsächlich meinen Pilgerstab in der Herberge vergessen.
Um 12.00 Uhr besuchte ich in der hiesigen Pfarrkirche die Messe zu Ehren des Heiligen Antonius. Ein von einer Akkordeonistin begleiteter, wahrscheinlich aus dem Orte stammender Kinderchor gestaltete die Messe mit, allerdings nur einstimmig. Hernach aß ich einen Salatteller mit Brot und trank dazu ein Glas Rotwein.
Bei Sonnenschein unternahm ich meinen Sonntagsspaziergang hinauf zum Kap Finisiterre. Da ich den restlichen Weg von Santiago de Compostela nach Finisterra nicht gewandert war, nahm ich auch kein Kleidungsstück mit, um es am Kap sinnbildlich für ein zurückgelassenes und neu beginnendes Leben, so wie es der uralten Pilgertradition entsprechen solle, zu verbrennen. Inwieweit dieser Brauch am Kap Finisterre tatsächlich aus der mittelalterlichen Pilgertradition herrührt, war für mich äußerst fragwürdig. Nach meiner Einschätzung dürften damals die Pilger bereits in Santiago de Compostela ihre verschlissenen und verdreckten Kleider und Schuhe dem Feuer übergeben haben, möglicherweise sogar auf dem Dach der Kathedrale, um hernach neu eingekleidet die Pilgermesse feierlich begehen und die Reliquie des Heiligen Jakobus gebührend ehren zu können. Hinsichtlich der damaligen Armut und aus Praktikabilitätsgründen heraus schien es mir sehr unwahrscheinlich, dass die Pilger im Mittelalter ihre verdreckten und verschlissenen Kleider bis ans Kap einzig aus dem Grunde mit sich schleiften, diese hier am Ende der mittelalterlichen Welt verbrennen zu können.
Hierbei fiel mir eine Äußerung Berds ein, eines aus dem Allgäu stammenden Rentners, den ich auf dem Monte do Gozo kurz kennen gelernt hatte. Er hatte zu meiner weiterhin verneinenden Auffassung, wonach sich nach allgemeiner Ansicht der Mensch bei seiner Fernwanderung auf dem Jakobsweg charakterlich bzw. persönlich verändern würde, gemeint, für mich könne er sich eine Veränderung dergestalt vorstellen, so dass ich in meinem Beruf, den ich sicherlich gewissenhaft und sehr gut ausübe, mich künftig weniger anpassen sondern vielmehr diesen nunmehr selbstbewusster ausüben werde. ,Oh mein Gott, noch sturer als bisher’, hatte ich bei mir denken müssen.
Zurück in der Ortschaft Finisterra setze ich mich auf die Terrasse eines Restaurants mit Meeresblick. Alice und Karin kamen zufälligerweise hinzu. Wir plauderten ein wenig. Da ich mich für das Abendessen frisch machen wollte, begab ich mich zurück zu meinem Hotelzimmer. Dort angelangt, rebellierte urplötzlich mein Magen, so dass ich die WC-Schüssel übergebührend beanspruchen musste. Mein Ansinnen, wie gestern gepflegt zu Abend zu essen, hatte sich damit erübrigt. Das einzige, was ich mir gönnte, war ein Bad, nachdem sich mein Magen einigermaßen wieder beruhigt hatte.
Montag, den 28.06.:
Morgens schlenderte ich hinab zum Hafen von Finisterra, um dort in einer netten Hafenbar zu frühstücken. Zu Hause werden sicherlich
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