Jakobsweg
ausgepowert, trotz der 1,5 Tage Ruhepause in Astorga. Meine Knie tun mir weh wie verrückt. Alle sagen, ich solle einfach noch hierbleiben und mich ausruhen, aber ich will nur nach Hause. Notfalls mit Druck, den ich mir bisher gar nicht gemacht habe. Was ist bloß los?
Vorvorletzte Etappe: Arzua - 39 km vor Santiago - bin wieder nur den "Auto-Camino" gelaufen und der war noch um 14 Uhr völlig gefroren. Glatteis in Spanien, wer glaubt denn so etwas? Der Weg hierher war landschaftlich wieder einmal sehr schön, einfach anders als "bei uns" da unten. An einer Straße entlang aufgereiht wie auf Perlschnüren ein paar Läden, ein paar Kneipen.
Das Ende ist abzusehen, ich will mal aufzählen, was so draufgegangen ist in den letzten 6 Wochen:
Schluss mit "lustig" war schon in Uterga. Da habe ich gleich meine Lieblingsjeans, meine neue rote Jacke (untauglich), 2x Rei in der Tube und Shampoo und Duschzeug gelassen. Wegen Gewicht!! Dazu sind in den nächsten Wochen 1 Weste, 2 weitere Jacken, 1 Regencape (undicht), 4 oder 5 durchgeschriebene Kugelschreiber, 4 Ölkanisterle, 2 Reiseführer wg. "Doof", ein Kunstbüchlein über Astorga gekommen... sonst fällt mir nichts ein. Aber schleppen muss ich immer noch 13,8 Kilo.
Was hat es gebracht - hat es was gebracht???
Ganz sicher ist mir sehr oft BEWUSST geworden, dass es aber auch so etwas von scheißegal ist, ob der Champagner 6° oder 9° hat, oder ob das Brötchen zum Essen frisch aufgebacken oder vom Vortag ist - sondern dass man sich Gedanken machen muss, wann, wo und ob man überhaupt etwas isst. Wir setzen uns ins Auto, gut, aber hier hast du kein Auto, der nächste Ort ist 12 oder 30 km entfernt und der einzige Bus ist um 6.30h gefahren, - wenn es überhaupt einen gibt. Oder es gibt nur 30 Einwohner, dafür aber fünf Bars, die natürlich sämtlich geöffnet sind und die Kerle sind allemal um 15h besoffen. -
Oder es gibt keine Heizung, kein heisses Wasser und nur Pritschen - aber es gibt wunderschöne Landschaften und niemals habe ich so viele wirklich gläubige Menschen getroffen. In den Orten und Dörfern - auf dem Weg war ich ja bis auf ganz wenige Momente immer allein. Und niemals zuvor bin ich von so vielen wildfremden Menschen gegrüsst worden. Viele haben mir einen "guten Weg", einen "buen camino" gewünscht und oft, dass ich gesund ankommen soll. Und "Cuidate". Pass auf Dich auf... Niemals zuvor hat mir jemand ungefragt oder ungebeten, einfach weil es so eine unglaubliche Kälte war, eine Tasse heiße Brühe hingestellt. "Toma peregrina" -"nimm' Pilgerin".
Ganz viele Menschen haben mir gesagt, dass ich wiederkommen soll - besonders, wenn ich 2 Tage oder wie in Astorga und auch in El Acebo länger da war. Wann schon sagen Fremde zu Dir "Geh nicht, es ist zu gefährlich"? - wie in O' Cebreiro und der Sohn fährt Dich bis zur Straße weil es glatt und neblig war und ich mich sonst - vielleicht - in den Bergen verlaufen hätte... Und wie liebenswert waren die Herbergsmütter in Sahägun und Rabanal oder in Estella. "Gib Deine Wäsche", "Setz Dich an den Kamin" - "Da nimm, trinke/ iss". Wann sitzt du mit vier oder zehn Personen an einem Tisch und alle kommen aus einem anderen Land? Wann stehst Du mitten auf einem Weg und fängst an zu heulen - und weißt nicht, warum? Wann explodiert 250 mtr. von Dir entfernt eine Autobombe, weil die ETA wieder einmal zugeschlagen hat? An diesem Abend waren die Kirchen noch mal so voll. Wann warten wildfremde Menschen auf dem Weg auf Dich, weil es Dir offensichtlich nicht gut geht und weil Du nicht weiterkannst wegen Deiner Knieschmerzen? Und füttern Dich genau da mit Schokolade "wegen der Moral, Bea".
Wo bekommst Du bei -3° ganz sicher einen eisgekühlten Tinto? Wie oft fragst Du Dich, was tu' ich hier? Bei dem Wetter, der Kälte, dem Regen, dem Schnee, aber auch bei Sonne und blauem Himmel. Ganz allein, ohne zu wissen, wo Du die Nacht verbringen wirst?? Und wie oft zuvor hast Du Dich in Deinem Leben über ein TROCKENES Sweatshirt und eine WARME Decke gefreut??
Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis ich begriffen habe, was ich gemacht habe, was ich wirklich geleistet habe - und warum! Bis ich tatsächlich spüre, was alles diese Wochen in mir verändert haben. Manche Dinge sind ja schon unterwegs erstaunlich klar geworden - der Wunsch, vielleicht doch nicht mehr allein zu sein. Vielleicht noch einmal einen Partner finden. Keine faulen Kompromisse mehr eingehen wollen. "Ja!" oder "Nein!"... Abschließen mit der
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