Jakobsweg
schlimm, dass ich irgendwann heulend auf der Strasse gestanden habe! An manchen Tagen fällt es schon sehr schwer, an anderen dagegen geht es wie von selbst. Gestern war jedenfalls ein Sch...tag - und dann an jeder Ecke ein Mahnmal.- Bin ganz bewusst hier hin, ins "Hotel Alfonso" gelaufen. Beim Einchecken sagte denn auch der Portier - trotz Käppi und Regenmontur - "oh Senora, heute vor einem Jahr waren Sie ja auch bei uns?!" Auf den letzten Kilometern hierher hab ich mich buchstäblich mit dem Gedanken an die wohl-gefüllte Minibar und ein sehr heißes, sauberes Bad aufrecht gehalten. Saukalt ist's geworden! Gesagt, getan - Oliven und Cava auf dem Wannenrand. Telefonat mit Maren: "Gut machst Du das, ruh' Dich aus! Und trink einen ordentlichen Wein!" Anschließend habe ich in der Cafeteria des Hotels einen grünen Salat und eine Portion Rinderbraten gegessen, schliesslich war Sonntag.
Ich habe so einen HUNGER auf anständige Spaghetti mit einer selbst gekochten Tomatensauce oder Kartoffeln mit Feldsalat, oder so etwas. In den letzten Wochen hatte "Essen" meistens den Stellenwert der Nahrungs- und Kalorienaufnahme, um genügend Energie zu laden und weiter laufen zu können! Auch, wenn sich das hier manches Mal anders liest. Ich war heute auch in der Kirche und habe an einer Messe teilgenommen, das war schön und gibt erstaunlicherweise doch manches Mal etwas Frieden. Ich bleibe eine zweite Nacht hier, meine Knie machen langsam schlapp. Es sind zwar nicht mehr sooooo viele Kilometer, aber auch die will ich jetzt nicht "runterreissen". Ich will sehen und spüren, wo ich bin!
Eine Woche noch, ungefähr, dann ist es wieder geschafft. Ich mag auch nicht mehr, der Zauber ist vorbei, es geht nur noch um Geschäftemacherei, egal wo! Auf der gesamten Strecke werden Unsummen an EU-Geldern verbraten, um verfallene Kirchen, Strassen, ganze Dörfer zu sanieren. An jeder Laterne hängen Wimpel und Flaggen, die auf das nächste heilige Jahr und "Xacobeo 2010" hinweisen. Natürlich ist es schön, eine solch lange Zeit nur mit einer besonderen Form von Meditation (denn das ist es!) und körperlicher Betätigung in dieser tollen, so unterschiedlichen Landschaft in Nordspanien zu verbringen. Meine große Begeisterung und mein tiefes Empfinden aus dem letzten Jahr habe ich jedoch nur mit Mühe wieder gefunden.
Jetzt liegen nur noch Portomarin, Melide, Arzua am Weg... dann ist es wieder einmal nahezu geschafft! Das Wetter hält sich im wahrsten Sinne des Wortes bedeckt, gelegentlich regnet es. Die Strecke wird von Tag zu Tag voller, die wenigen Unterkünfte ebenfalls. In Melide werde ich zum letzten Mal vor Santiago in eine Kirche gehen und still vor mich hinsinnen. Das fällt mir erstaunlich leicht. Auf dem ganzen Weg habe ich festgestellt, dass ich gut mit mir allein sein kann; wieder habe ich mich nicht verlaufen, und wieder habe ich täglich vor Einbruch der Dunkelheit ein Bett gefunden, mal mehr, mal weniger gut. Und immer ein Stück Brot und ein Glas Wein. Ok, ich weiss, dass ich mit weniger Sorgen unterwegs sein kann, als manch anderer -dennoch ändert das ja nichts an den Mühen, auch nicht an der Einsamkeit, den Wetterbedingungen, den zum Teil wirklich furchtbaren sanitären Einrichtungen, den verwanzten Betten (ich habe noch drei Monate später knotige kleine Narben an den Armen und Beinen), der Überheblichkeit, die einem gelegentlich entgegen gebracht wird. Man muss schon eine gewisse Stärke haben und auch was wegstecken könne, um das durchzustehen.
Ganz sicher weiß ich, dass ich wiederkomme, irgendwann nach 2010. Allein die körperliche Anstrengung macht tatsächlich froh und tut gut. Wie oft habe ich gedacht, aufhören, kein Meter geht mehr. Und doch habe ich mich jeden einzelnen Morgen auf das "Weiterlaufen" gefreut. Im Moment schleicht sich zur Freude, es ganz bald geschafft zu haben, auch schon wieder die Trauer darüber, dass es nun allmählich zu Ende geht. Eigentlich möchte man all das, was man hier gefunden hat, nicht wieder hergeben: nicht die Ruhe und den Frieden mit sich selbst, nicht die Stille ringsherum und die Natur. Es ist schwer, mir vorzustellen, dass ich in einer Woche schon wieder am Schreibtisch sitzen soll.
Portomarin.
Soviel Regen! Ein Ort, wegen eines Stausees auf den Berg verlegt, die Kirche hat man Stein für Stein abgetragen und im neu geschaffenen Portomann wieder aufgebaut. Alles andere fiel dem Wasser zum Opfer - chinesische Verhältnisse?? Und weiter geht's nach Palas de Rei. Es regnet
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