Jamaica Lane - Heimliche Liebe
verabreden. Dieser Arbeitsplatz wirkt Wunder für mein Selbstbewusstsein. Warum habe ich nicht schon viel früher hier angefangen?« Sie zog nachdenklich die Schultern hoch, während sie sich am Wasserspender einen Plastikbecher füllte. »Auch wenn ich es ein bisschen komisch finde, dass ich zum dritten Mal von einer Frau angesprochen wurde.«
Ich warf Ronan einen verstohlenen Blick zu. Er kämpfte gegen einen Lachanfall und steckte mich prompt damit an. Wendy war dreiunddreißig Jahre alt und Mutter zweier Kinder. Sie war hübsch, freundlich, lustig und ein rundum netter Mensch. Und offenbar kam sie bei der weiblichen Studentenschaft gut an.
Sie quittierte unsere Heiterkeit mit einem nachsichtigen Lächeln. »Was denn? Glaubt ihr etwa, dass ich sie irgendwie dazu ermuntere?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ist doch egal. Nimm es einfach als Kompliment.«
»Du musst es ja wissen«, sagte Ronan feixend. »Du wirst doch ständig angeflirtet.«
Ich runzelte unwillig die Stirn. »Von irgendwelchen Jungs, die gerade erst der Pubertät entwachsen sind und alles flachlegen würden, was Brüste und eine Vagina hat.«
»Gebrauchen wir neuerdings das Wort ›Vagina‹ bei der Arbeit?« Angus’ Stimme ließ meinen Kopf herumschnellen. Mein Boss lehnte im Türrahmen und musterte uns in kühler Belustigung.
Ich grinste belämmert. »Wir unterhalten uns gerade über medizinische Periodika …?«
Angus überging meine Bemerkung und nahm Kurs auf die Kaffeemaschine. »Ich habe Michael auch hier kennengelernt, wusstet ihr das?«, sagte er unvermittelt und verriet uns damit, dass er schon seit geraumer Zeit in der Tür gestanden haben musste, weil er genau wusste, worüber wir uns unterhalten hatten. »Beziehungen zu Studenten werden nicht gern gesehen, aber ich war dreiundzwanzig und er ein fünfundzwanzigjähriger Doktorand.« Er grinste mich über die Schulter hinweg an. »Manchmal funkt es einfach – man kann gar nichts machen. Hast du das auch schon mal erlebt, Liv? Mit einem Studenten, womöglich?«
Diese unverblümte Frage brachte meinen Puls auf Hochtouren. O Gott … wusste Angus etwa von meiner Schwärmerei für Benjamin? Hastig schüttelte ich den Kopf. »Nein.«
»Hmm.« Er schmunzelte und lehnte sich gegen den Tresen. »Also, mir ist schon aufgefallen, wie der eine oder andere Student ein Auge auf dich wirft … bei den Semesterapparaten.«
Wollte er damit sagen, dass ihm aufgefallen war, wie Benjamin ein Auge auf mich geworfen hatte?
»Echt?«, kiekste ich.
Angus nickte lachend. »Ich glaube, du bist der ahnungsloseste Mensch, der mir in meinem Leben untergekommen ist.«
»Jemand hat ein Auge auf mich geworfen?«, fragte ich, nur um ganz sicherzugehen.
»Ja. Auf dich.« Er sah mich stirnrunzelnd an. »Wieso fragst du, als wäre das ein Ding der Unmöglichkeit?«
»Äh …« Oje. Besser, meine Kollegen erfuhren nicht, dass meine Selbstachtung nur deshalb überlebte, weil sie sich mit allerletzter Kraft an meine »sprühende« Persönlichkeit klammerte.
Angus maß mich mit einem Blick, der nahelegte, dass er mich mehr als nur ein bisschen schräg fand (solche Blicke von ihm waren keine Seltenheit), schnappte sich seinen Kaffee und ging zur Tür. »Versuch, dir das Wort ›Vagina‹ außerhalb des Pausenraums zu verkneifen.«
Ronan und Wendy lachten, aber ich hörte es kaum, sondern tauchte in meine eigenen Gedanken ab.
»Wenn du eine Frau in einer Bar wärst, würde ich dich unter allen anderen Frauen aussuchen. Ich würde dich mit nach Hause nehmen und es dir so hart besorgen, dass du am nächsten Morgen nicht geradeaus gehen kannst.«
Nates wundervolle Stimme ging mir nicht aus dem Sinn … und jetzt hatten sich auch noch Angus’ Bemerkungen dazugesellt. Vielleicht war Nate ja wirklich hundertprozentig ehrlich zu mir gewesen. Es war doch denkbar, dass Männer – richtige Männer, nicht pubertierende Jungs oder Studenten – mich attraktiv fanden. Dass sie nichts gegen eine Frau einzuwenden hatten, die ein bisschen zu viel auf den Rippen hatte, die Rundungen und einen richtigen Arsch vorweisen konnte.
»Und ich dachte immer, Sir Mix-a-Lot hat ›I Like Big Butts‹ nur geschrieben, weil es irgendwie eingängig war.«
»Was?« Ronan zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Nichts«, murmelte ich und stand auf. »Ich hatte möglicherweise bloß gerade eine lebensverändernde Einsicht.«
»Willst du sie mir verraten?«
Ich schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich gehe mal besser wieder an die Arbeit.«
Weitere Kostenlose Bücher