Jamaica Lane - Heimliche Liebe
Menschenverstand; ich glaubte, dass ich eine liebenswerte Persönlichkeit hatte; ich hielt mich für eine patente Frau; ich war überzeugt, dass ich alles schaffen konnte, was ich mir vornahm; ich war der Überzeugung, dass jeder, der mich nicht mochte, getrost aus meinem Leben verschwinden konnte.
Ich glaubte an mich .
Ich hatte bloß irgendwann aufgehört, an meine äußere Verpackung zu glauben. Keine Ahnung, wieso, aber bestimmt war das vom Universum nicht so vorgesehen. Bestimmt war ich nicht von Natur aus jemand, der andauernd seine eigene Wertigkeit hinterfragte oder sich von anderen einreden ließ, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
Aber so ging es mir. So fühlte ich mich.
Und ich hatte es satt, im stillen Kämmerlein zu sitzen und mit meinem Schicksal zu hadern. Ich hatte gesehen, wie meine wunderschöne junge Mutter gegen den Krebs gekämpft und den Kampf verloren hatte. Das Leben war kurz. Zu kurz, um es damit zu vergeuden, einen Teil von sich zu hassen, statt daran zu arbeiten, verlorenes Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Zu kurz, um nicht zu leben .
Und Sex war nun mal ein großer Bestandteil des Lebens. Für mich war er praktisch Terra incognita, aber nun hatte ich jemanden an der Hand, der in der Lage war, mir Praxiswissen zu vermitteln, so dass ich Selbstvertrauen aufbauen und langsam zu der Frau werden konnte, die zu sein ich bestimmt war.
Daher hatte ich die feste Absicht, Nate gleich nach dem Essen bei den Nichols anzurufen und meine Bitte zu wiederholen. Jetzt hatte ich keinen Whisky mehr im Blut, der mich mutiger machte. Ich war ganz auf mich gestellt – und auf meinen Entschluss, eine Frau zu werden, die sich selbst liebte … mit Haut und Haar.
Wie es der Zufall wollte, musste ich gar nicht bis nach dem Essen warten.
Nicht nur Dee war als zusätzlicher Gast bei Elodie aufgetaucht, auch Nate war da. Er hatte am Vormittag spontan bei Cam und Jo vorbeigeschaut und war kurzerhand mit eingeladen worden. Elodie machte das nichts aus. Bei der Familie Nichols galt das Motto: »Je zahlreicher, desto lustiger.«
Und nun stand ich, während die anderen drinnen waren, mit Jo auf Elodies und Clarks winziger Terrasse hinter dem Haus und genoss den milden Frühlingstag.
Ich wartete auf Nate und war ganz zappelig. Als ich daran dachte, dass ich ihm bald meine Frage zum zweiten Mal würde stellen müssen, kippte ich vor lauter Nervosität mein Glas Wasser in einem Zug hinunter.
»Alles klar, Liv?«
Ich zuckte zusammen. Jo musterte mich besorgt.
»Du wirkst so unruhig.«
Als ich ihre erwartungsvolle Miene sah, hätte ich ihr am liebsten alles erzählt. Die Worte krochen schon meine Kehle hinauf, blieben aber auf halbem Wege stecken, weil mein Herz heftig zu klopfen begann.
»Liv?«
Trotz meiner anfänglichen Entschlossenheit war ich auf einmal schrecklich unsicher. Was, wenn die Sache zwischen Nate und mir die Clique beeinträchtigte? »Ich habe da einen Kollegen«, platzte ich kurzerhand heraus. »In der Bibliothek. Er steckt gerade in einem Dilemma und hat mir davon erzählt, und du kennst mich ja: Ich möchte ihm gerne das Richtige raten.«
Jo wurde nachdenklich. »Okay. Und worin besteht sein Dilemma?«
»Er hat eine Clique. Sie sind alle sehr eng miteinander befreundet, aber es gibt da eine Frau, für die er mehr empfindet. Ihr geht es genauso, aber beide haben eine etwas komplizierte Vergangenheit, deswegen wissen sie nicht, ob das mit ihnen überhaupt Zukunft hat. Außerdem machen sie sich Sorgen, was dann aus der Gruppe wird.«
Kaum hatte ich aufgehört zu erzählen, wurde mir ganz flau. Jos Miene signalisierte nur allzu deutlich, dass sie keine Sekunde lang glaubte, bei besagtem Dilemma handle es sich um das eines Kollegen. Ich rechnete damit, dass sie mir jeden Moment die Wahrheit auf den Kopf zusagen würde.
»Na ja«, meinte sie schließlich mit einem Seufzer. »Ich finde, wenn dein Kollege diese Frau wirklich mag, sollten sie es miteinander versuchen.«
Erleichterung überschwemmte mich. Jo würde meine Lüge nicht entlarven.
Gott sei Dank.
»Meinst du?«
Sie nickte, und ein kleines aufmunterndes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Wenn er es wirklich will und es sich für ihn richtig anfühlt, dann soll er es doch versuchen. Man weiß ohnehin nie im Voraus, ob eine Beziehung Zukunft hat. Man lässt sich praktisch blind aufeinander ein, dann lernt man sich Schritt für Schritt besser kennen und erfährt immer mehr über den anderen. Und was die Clique angeht … wenn sie
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