James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
dann zum Kriegsdienst eingezogen. Sicherheitsdienst vielleicht. Keine Ahnung, was er danach machen sollte, also blieb er bei den Besatzungstruppen. Zuerst wahrscheinlich bei der Militärpolizei, dann, nachdem die höheren Offiziere langsam nach Hause reisten, kam die Beförderung in einen der Sicherheitsdienste. Er zog nach Triest, wo er sich ganz gut machte. Er wollte dort bleiben, um der englischen Strenge zu entgehen. Vermutlich hatte er dort eine Geliebte oder er hatte gar eine Italienerin geheiratet. Der Secret Service hatte einen Mann für den kleinen Posten benötigt, zu dem Triest nach dem Truppenrückzug geworden war. Dieser Mann war verfügbar. Sie warben ihn an. Er würde Routineaufgaben erledigen – ein paar weniger wichtige Quellen bei der italienischen und jugoslawischen Polizei sowie ihren Geheimdienstnetzwerken haben. Tausend Pfund im Jahr. Ein gutes Leben, ohne dass zu viel von ihm erwartet wurde. Dann war plötzlich wie aus dem heiterem Himmel dieser Auftrag gekommen. Musste ein Schock gewesen sein, diese Dringlichkeitsmeldung zu erhalten. Er würde Bond gegenüber vermutlich ein wenig zurückhaltend sein. Ein seltsames Gesicht. Die Augen sahen irgendwie wahnsinnig aus. Aber das war bei den meisten Männern der Fall, die Geheimdienstaufträge im Ausland erledigten. Man musste ein wenig wahnsinnig sein, um diese Arbeit anzunehmen. Ein kräftiger Bursche, wahrscheinlich nicht sehr helle, aber für diese Art von Wachdienst ganz nützlich. M hatte einfach den Mann ausgewählt, der sich am nächsten an ihrer momentanen Position befand, und ihm aufgetragen, in den Zug zu steigen.
Das alles ging Bond durch den Kopf, während er sich die Kleidung und die allgemeine Erscheinung des Mannes einprägte. Dann sagte er: »Freut mich, Sie zu sehen. Wie ist es passiert?«
»Ich erhielt eine Meldung. Gestern Abend spät. Von M persönlich. Hat mich ganz schön erschreckt, das können Sie mir glauben, alter Knabe.«
Ein seltsamer Akzent. Was war das? Es klang ein wenig irisch – ein schlechter irischer Akzent. Und noch etwas, das Bond nicht genauer benennen konnte. Vermutlich kam es daher, dass der Mann zu lange im Ausland gelebt hatte und die ganze Zeit fremde Sprachen benutzte. Und dieses schreckliche »alter Knabe« am Ende des Satzes. Zurückhaltung.
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Bond mitfühlend. »Was stand in der Meldung?«
»Nur dass ich heute Morgen in den Orientexpress steigen und einen Mann und ein Mädchen im Kurswagen kontaktieren sollte. Es folgte eine einigermaßen genaue Beschreibung Ihres Aussehens. Ich soll in Ihrer Nähe bleiben und dafür sorgen, dass Sie sicher nach Paris gelangen. Das war alles, alter Knabe.«
Lag da etwas Verteidigendes in der Stimme? Bond sah zur Seite. Die blassen Augen bewegten sich, um seinen zu begegnen. In ihnen blitzte es für einen Sekundenbruchteil rot auf. Es war so, als wäre die Sicherheitstür eines Brennofens aufgeschwungen. Die Feuersbrunst erlosch. Die Tür zum Innersten des Mannes wurde zugeschlagen. Nun waren die Augen wieder undurchsichtig – die Augen eines Introvertierten, eines Mannes, der selten in die Welt hinaussah, sondern immer nur die Bilder in seinem Inneren betrachtete.
Der ist tatsächlich wahnsinnig, dachte Bond, den der Anblick erschreckte. Ein Kriegstrauma vielleicht oder Schizophrenie. Der arme Kerl, wo er doch so einen beeindruckenden Körper hatte. Eines Tages würde er zweifellos zusammenbrechen. Der Wahnsinn würde die Kontrolle übernehmen. Bond sollte wohl besser mal mit der Personalabteilung darüber sprechen. Die Ergebnisse seiner ärztlichen Untersuchung überprüfen. Dabei fiel ihm ein: Wie hieß der Mann eigentlich?
»Tja, ich bin jedenfalls sehr froh, Sie dabeizuhaben. Vermutlich wird es nicht besonders viel für Sie zu tun geben. Zu Beginn unserer Reise waren uns drei von den Roten auf den Fersen. Wir sind sie losgeworden, aber es könnte noch mehr von ihnen in diesem Zug geben. Oder vielleicht steigen auf dem Weg noch welche ein. Und ich muss dieses Mädchen ohne Zwischenfälle nach London bringen. Wenn Sie einfach in der Nähe bleiben könnten. Heute Nacht bleiben wir besser zusammen und halten abwechselnd Wache. Es ist die letzte Nacht, und ich will kein Risiko eingehen. Mein Name ist übrigens James Bond. Ich reise als David Somerset. Und das da drinnen ist Caroline Somerset.«
Der Mann kramte in seiner Jacketttasche herum und zog eine verbeulte Brieftasche heraus, in der sich jede Menge Geld zu befinden
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