James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
der Tür zu Abteil Nummer sechs riss er sich zusammen. Er klopfte angespannt, aber kontrolliert an. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit, und Bond erhaschte einen Blick auf eine dicke Nase und den Teil eines Schnurrbarts. Die Sicherheitskette wurde zurückgezogen, und Goldfarb trat ein. Stille folgte, während sich der Mann in Zivil um die Papiere zweier ältlicher Französinnen kümmerte, die in den Abteilen Nummer neun und zehn reisten. Dann kam er zu Bond.
Der Beamte warf lediglich einen flüchtigen Blick auf Bonds Pass. Er klappte ihn ruckartig zu und reichte ihn dem Schaffner. »Sie reisen mit Kerim Bey?«, fragte er auf Französisch. Seine Augen wirkten abwesend.
»Ja.«
»
Merci, Monsieur. Bon voyage
.« Der Mann salutierte. Er drehte sich um und marschierte zackig auf Abteil Nummer sechs zu. Die Tür öffnete sich, und er ging hinein.
Fünf Minuten später wurde die Tür wieder aufgeworfen. Der Mann in Zivil, der nun reine Autorität ausstrahlte, winkte die Polizisten heran. Er sprach schroff auf Türkisch mit ihnen. Dann drehte er sich wieder zum Abteil um. »Betrachten Sie sich als verhaftet, mein Herr. Versuchte Bestechung eines Beamten gilt in der Türkei als schweres Vergehen.« Es folgte eine wütende Schimpftirade in Goldfarbs schlechtem Deutsch. Sie wurde von einem strengen Satz auf Russisch unterbrochen. Ein anderer Goldfarb, ein Goldfarb mit den Augen eines Wahnsinnigen, trat heraus, lief blind durch den Gang und verschwand in Abteil Nummer zwölf. Ein Polizist stand vor der Tür und wartete.
»Und
Ihre
Papiere, mein Herr. Bitte treten Sie vor. Ich muss dieses Foto überprüfen.« Der Mann in Zivil hielt den grünen deutschen Pass ins Licht. »Weiter nach vorn, bitte.«
Widerstrebend und mit blassem, zornigem Gesicht trat der MGB-Mann, der sich Benz nannte, in einem leuchtend blauen Seidenmorgenmantel in den Gang hinaus. Die harten braunen Augen starrten unverwandt in Bonds, schienen ihn jedoch zu ignorieren.
Der Mann in Zivil klappte den Pass zu und reichte ihn dem Schaffner. »Ihre Papiere sind in Ordnung, mein Herr. Und nun das Gepäck, wenn Sie so freundlich wären.« Vom zweiten Polizisten gefolgt ging er in das Abteil. Der MGB-Mann wandte Bond seinen blauen Rücken zu und beobachtete die Durchsuchung.
Bond bemerkte eine Wölbung unter dem linken Ärmel des Morgenmantels und einen Gürtel, der sich an der Taille abzeichnete. Er fragte sich, ob er den Mann in Zivil darauf hinweisen sollte, und kam zu dem Schluss, dass er besser den Mund hielt, da man ihn sonst womöglich als Zeugen in die Sache hineinziehen würde.
Die Durchsuchung war vorbei. Der Mann in Zivil salutierte zackig und setzte seinen Weg durch den Gang fort. Der MGB-Mann kehrte in Abteil Nummer sechs zurück und schlug die Tür hinter sich zu.
Schade, dachte Bond. Einer war davongekommen.
Bond drehte sich wieder zum Fenster um. Ein bulliger Mann mit einem grauen Homburg auf dem Kopf und einem hässlichen Geschwür am Nacken wurde durch die Tür mit der Aufschrift POLIS geführt. Am Ende des Gangs knallte eine Tür zu. Goldfarb kletterte in Begleitung eines Polizisten aus dem Zug. Mit gesenktem Kopf trottete er über den staubigen Bahnsteig und verschwand durch dieselbe Tür.
Die Lok gab ein Pfeifen von sich, ein neues Pfeifen, der kühne, schrille Ton eines griechischen Lokführers. Die Tür des Waggons fiel scheppernd zu. Der Mann in Zivil und der zweite Polizist erschienen am anderen Ende des Bahnhofs. Der Wachmann am hinteren Ende des Zugs schaute auf seine Uhr und streckte seine Fahne aus. Es gab einen Ruck und ein schnell nachlassendes Getöse aus explodierenden Luftstößen von der Lok, und der vordere Teil des Orientexpresses setzte sich in Bewegung. Der Teil, der die nördliche Route durch den Eisernen Vorhang – durch Dragoman an der bulgarischen Grenze nur achtzig Kilometer entfernt – nehmen würde, wurde neben dem staubigen Bahnsteig stehen gelassen und musste dort warten.
Bond zog das Fenster auf und warf einen letzten Blick zurück auf die türkische Grenze, wo die beiden Männer in einem kargen Zimmer sitzen und auf ihr Todesurteil warten mussten, das unweigerlich kommen würde. Zwei Vögel erledigt, dachte er. Zwei von dreien. Die Aussichten hatten sich eindeutig verbessert.
Er betrachtete den leeren, staubigen Bahnsteig mit seinen Hühnern und der kleinen schwarzen Gestalt des Wachmanns, bis der lange Zug die Weiche erreichte und mit einem Ruck auf die Hauptstrecke abbog. Er schaute auf die
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