James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
neben sie. »Tanja«, sagte er geduldig, »er ist ein wundervoller Mann. Außerdem ist er ein guter Freund. Soweit es mich betrifft, kann er sagen, was er will. Er ist eifersüchtig auf mich. Er hätte auch gern so ein Mädchen wie dich. Also zieht er dich ein wenig auf. Es ist eine Form des Flirtens. Du solltest das als Kompliment nehmen.«
»Meinst du?« Sie richtete ihre großen blauen Augen auf seine. »Aber das, was er über seinen Magen und euer Staatsoberhaupt gesagt hat. Das war eurer Königin gegenüber sehr unhöflich. So etwas würde in Russland als sehr ungebührliches Verhalten angesehen werden.«
Sie diskutierten immer noch, als der Zug am sonnenverdorrten, fliegenübersäten Bahnhof von Alexandroupolis zum Stehen kam. Bond öffnete die Tür zum Gang, und die Sonne strömte über ein helles spiegelglattes Meer herein, das fast ohne sichtbaren Horizont mit dem Himmel verschwamm, der die Farben der griechischen Flagge hatte.
Sie aßen zu Mittag, wobei die schwere Tasche zwischen Bonds Füßen unter dem Tisch stand. Kerim freundete sich schnell mit dem Mädchen an. Der MGB-Mann namens Benz mied den Speisewagen. Sie sahen ihn auf dem Bahnsteig, wo er an einem kleinen fahrbaren Stand Sandwiches und Bier kaufte. Kerim schlug vor, ihn als vierten Mitspieler zu einer Partie Bridge einzuladen. Bond fühlte sich plötzlich sehr müde, und seine Müdigkeit gab ihm wiederum das Gefühl, dass sie diese gefährliche Reise wie ein Picknick behandelten. Tatjana bemerkte sein Schweigen. Sie stand auf und sagte, sie müsse sich ausruhen. Als sie den Speisewagen verließen, hörten sie noch, wie Kerim fröhlich nach einem Brandy und Zigarren verlangte.
Zurück im Abteil sagte Tatjana streng: »Nun wirst du mal schlafen.« Sie zog die Jalousie herunter und sperrte so das helle Licht des Nachmittags und die endlosen verdorrten Felder voller Mais, Tabak und welker Sonnenblumen aus. Das Abteil verwandelte sich in eine dunkelgrüne unterirdische Höhle. Bond verriegelte die Tür und gab ihr seine Waffe, bevor er sich mit dem Kopf in ihrem Schoß ausstreckte und sofort einschlief.
Der lange Zug schlängelte sich durch den Norden Griechenlands und an den Ausläufern des Rhodopengebirges entlang. Xanthi kam, dann Drama und Serres, und schließlich befanden sie sich im mazedonischen Hochland, und die Strecke verlief nach Süden in Richtung Thessaloniki.
Als Bond in der weichen Wiege ihres Schoßes erwachte, dämmerte es bereits. Sofort, als ob sie nur auf den Moment gewartet hätte, nahm Tatjana sein Gesicht zwischen ihre Hände, sah ihm in die Augen und sagte drängend: »
Duschka
, wie lange wird es so bleiben?«
»Lange.« Bonds Gedanken waren noch träge vom Schlaf.
»Aber wie lange?«
Bond schaute in ihre wunderschönen, besorgten Augen auf. Er schüttelte den Schlaf ab und konzentrierte sich. Er konnte unmöglich sagen, was nach den nächsten drei Tagen im Zug passieren würde oder nach ihrer Ankunft in London. Er musste sich der Tatsache stellen, dass dieses Mädchen eine feindliche Agentin war. Seine Gefühle würden für die Befrager seines Geheimdienstes und der Ministerien nicht von Interesse sein. Andere Geheimdienste würden ebenfalls wissen wollen, was dieses Mädchen ihnen über den Apparat erzählen konnte, für den sie gearbeitet hatte. In Dover würde sie vermutlich in den »Käfig« gebracht werden, jenes gut bewachte verborgene Haus in der Nähe von Guilford, wo man sie in einem gemütlichen, aber bestens verkabelten Zimmer unterbringen würde. Und die effizienten Männer in Zivil würden einer nach dem anderen kommen, um mit ihr zu reden, und das Aufnahmegerät würde sich im Raum darunter drehen und alles aufzeichnen, damit man jedes ihrer Worte auf neue Fakten untersuchen konnte – und natürlich auch nach den Widersprüchen, die sie ihr entlocken und später vorhalten würden. Vielleicht würden sie einen Lockvogel einsetzen – ein nettes russisches Mädchen, das Mitleid mit Tatjana haben und ihr eine Möglichkeit zur Flucht vorschlagen würde. Womöglich könnte sie auch als Doppelagentin fungieren oder einfach nur »harmlose« Informationen an ihre Eltern übermitteln. Diese Behandlung mochte sich über Wochen und Monate hinziehen. In der Zwischenzeit würde Bond auf taktvolle Weise von ihr ferngehalten werden, es sei denn, die Befrager dachten, er könnte ihr weitere Geheimnisse entlocken, indem er ihre Gefühle füreinander ausnutzte. Und was dann? Ein neuer Name, das Angebot eines neuen
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