Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
Vom Netzwerk:
unbändige Lust, den Becher bis zur Neige zu leeren. Er schwelgte in seinem eigenen Hochgefühl und hielt sich selbst für erlesene Gesellschaft. Er begann sofort mit der Arbeit an einem neuen Bühnenstück – einer Komödie diesmal – und stellte mit Interesse fest, dass er, während sein Werk im Entstehen begriffen war, alle Menschen in seiner Umgebung als Charaktere und Figuren betrachtete, auf die er zurückgreifen konnte. Alles, was er sah oder hörte, war Wasser auf seine Mühlen; alles präsentierte sich als mögliches
Material. Unter diesen Bedingungen wurde das Leben wahrhaft interessant, und mehrere Nächte lang ließ der Ehrgeiz, es Molière gleichzutun, Benvolio nicht schlafen.
    Doch so ergötzlich dies alles auch war, es konnte nicht ewig andauern. Als die Winternächte einsetzten, kehrte die Gräfin nach London zurück und mit ihr Benvolio, seine unvollendete Komödie in der Tasche. Während eines großen Teils der Reise war er schweigsam und geistesabwesend, und die Gräfin vermutete, er überlege, wie er das Beste aus jener köstlichen Situation im dritten Akt herausholen könnte. Der Scharfblick der Gräfin reichte gerade aus, sie zu dieser Annahme gelangen zu lassen – sie also, mit anderen Worten, zu einem verständlichen Irrtum zu verleiten. Tatsächlich aber grübelte Benvolio darüber nach, was in aller Welt plötzlich aus seiner Inspiration geworden war und weshalb die witzigen Bemerkungen in seinem Stück und seiner Komödie ihm mit einem Mal so seelenlos vorkamen wie der Peitschenknall des Postillions. Er blickte auf die Stoppelfelder, die rostfarbenen Wälder, den trüben Himmel hinaus und fragte sich, ob das die Welt war, der den Spiegel vorzuhalten noch gestern sein größter Ehrgeiz gewesen war. Die dame de compagnie 14
der Gräfin saß ihm gegenüber in der Kutsche. Gestern noch hatte er sie mit ihrem blassen, Diskretheit ausdrückenden Gesicht und ihren fahrigen Bewegungen, die Gleichmut vortäuschen sollten, für ein geradezu vollendetes Exemplar ihrer Gattung gehalten. Heute konnte er nur sagen, dass es ein großer Jammer wäre, sollte es tatsächlich eine ganze Gattung ihresgleichen geben, denn die arme Dame kam ihm erbärmlich unaufrichtig und unterwürfig vor. Die Wirklichkeit schien grässlich; er hatte Heimweh nach seinen geliebten vertrauten Zimmern zwischen dem Garten und dem großen Platz, und er sehnte sich danach, endlich wieder dort zu sein, die Tür hinter sich zu verriegeln, sich in seinem alten Lehnstuhl zu vergraben und in alle Ewigkeit den Idealismus zu kultivieren. Als er schließlich in sein Reich zurückkehrte, trat er als Erstes ans Fenster, um in den Garten hinauszublicken. Dieser hatte sich während seiner Abwesenheit sehr verändert, und die alten verstümmelten Statuen, die im Sommer behaglich in frisches Grün gehüllt gewesen waren, standen nun, in kuriosem Widerspruch zu dem, was eigentlich angemessen gewesen wäre, weiß und nackt in der Kälte. Ich kann nicht sagen, wie schnell Benvolio seine Nachbarn aufsuchte. Sehr viel Zeit ließ er
sich damit nicht, aber wohl doch eine Weile. Er hatte ein schlechtes Gewissen und wusste nicht so recht, was er ihnen sagen sollte. Ihm schien jetzt (auch wenn er früher nicht auf den Gedanken gekommen war), sie könnten ihm vielleicht vorwerfen, er hätte sie vernachlässigt. Er hatte ihre Freundschaft gesucht, hatte höchste Wertschätzung für sie bekundet und ihnen dann, ohne ein Wort der Erklärung und ohne sich von ihnen zu verabschieden, den Rücken gekehrt. Er hatte ihnen nicht geschrieben; ja, während seines Aufenthalts bei der Gräfin wäre es ihm nicht einmal schwergefallen, sich einzureden, er habe von diesen Leuten nur geträumt oder bestenfalls in irgendeinem alten Memoirenband über sie gelesen. Jetzt konnte er sich vorstellen, dass sie sagten, mit Menschen wie ihnen gebe man sich nicht aus einer Laune heraus ab und lasse sie dann wieder fallen; und bedeutete Freundschaft für ihn nicht das, was sie darunter verstanden, wäre es besser, wenn er sie ein für alle Mal vergäße. Es ist vielleicht übertrieben, zu behaupten, er hätte sich tatsächlich vorgestellt, sie würden all das sagen; dazu waren sie zu freundlich und zu höflich, und sie waren es nicht gewohnt, sich selbst zu verteidigen. Doch sie würden ihn womöglich auf eine Weise empfangen, die leisen
Groll erkennen ließe. Benvolio kam sich erniedrigt, entehrt, beinahe beschmutzt vor, so dass er vielleicht schließlich vor allem deshalb zu

Weitere Kostenlose Bücher