Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Begeisterung. »Grundsätzlich könnte es stimmen.«
Ich wartete, dass sie weitersprach. Sie schwieg jedoch, und so sagte ich:
»Vor ein paar Minuten meintest du, er könnte Drogen genommen haben. Was für Zeug nahm er denn?«
Eisiges Schweigen erfüllte den Raum.
»Ich will mich nicht in euer Privatleben mischen, Kinder.«
»Es geht nicht um uns, sondern um jemanden, der nicht anwesend ist«, sagte Josh.
Ich musste einen Moment überlegen.
»Ist Gary in die Drogenszene gegangen?«
»Ich hab Ihnen doch schon gesagt, dass Sie ihn nicht wiedererkennen würden.«
»Er hat sich seit dem letzten Sommer wirklich sehr verändert«, sagte Jennifer. »Ein sehr heikles Thema hier bei uns.«
»Warum?«
David lachte ironisch. »Man hat uns von oben nahe gelegt, nicht über Mr. Yamaguchi zu sprechen, weil dies ein schlechtes Licht auf unser Projekt werfen könnte. Wenn zwei von sechs Leuten ausflippen, sind die Chancen, dass es neue Forschungsgelder gibt, sehr gering.«
»Mich interessiert weder die Presse noch Garys Privatleben. Wenn er aber Jamey an Drogen gebracht hat, muss ich Genaueres wissen.«
»Beweise haben wir nicht«, sagte Josh.
»Es genügt, vorsichtig Vermutungen anzustellen.«
»Also ich glaube«, sagte Jennifer, »dass Gary an dem Tag, an dem er kein braver kleiner Junge mehr sein wollte, mit Drogen anfing. Er nahm Speed, LSD, Kokain, Beruhigungs- und Aufputschmittel. Das ganze letzte Jahr war er fast dauernd high. Er hatte nie vorher im Leben rebelliert, und er übertrieb maßlos, wie ein Frischbekehrter. Jedes Mal, wenn er sich im Rausch befand, war es eine kosmische Erleuchtung für ihn, und er wollte, dass alle anderen es auch probieren. Jamey hatte keine Freunde, aber Gary stand er noch am nächsten. Beide waren sie Außenseiter, und wenn sie sich nicht gegenseitig beschimpften, saßen sie zusammen und spotteten über uns. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Gary Jamey Drogen gegeben hat.«
Josh sah aus, als sei ihm unbehaglich zumute.
»Was hast du, Josh?«, fragte ich.
»Ich habe eine Szene beobachtet, die darauf hindeutet, dass sie in engerem Kontakt standen als vermutet. Chancellor holte Jamey in der Bibliothek ab, da tauchte auch Gary auf und ging mit ihnen weg. Am nächsten Tag hörte ich, wie er sich über Jamey lustig machte und ihn Chancellors Haremsknaben nannte.«
»Ist Gary homosexuell?«, fragte ich.
»Ich wäre nicht darauf gekommen, aber wer weiß das schon?«
»Wie reagierte Jamey darauf, dass Gary über ihn spottete?«
»Er bekam seinen ausweichenden vagen Blick und sagte nichts.«
»Ich muss mit Gary sprechen«, sagte ich. »Wo kann ich ihn finden?«
Spontan antwortete David: »Ich sah ihn zuletzt vor ein paar Monaten, als er auf dem nördlichen Campus Hasch rauchte. Er war als Punk angezogen und verhielt sich mir gegenüber feindselig, prahlte mit seiner großen Freiheit und bezeichnete uns als Dr. Flowers’ Sklaven. Er sagte, er lebe in der Stadt in einer Wohngemeinschaft mit anderen Künstlern und hätte demnächst eine Ausstellung in einer Galerie.«
»Was für Kunst macht er?«
Alle vier zuckten die Schultern.
»Wir haben nie etwas von ihm gesehen«, sagte David. »War wahrscheinlich nur Bluff.«
»Alex«, sagte Jennifer, »glauben Sie, dass bei Jameys Krankheit Drogen im Spiel sind?«
»Darüber kann ich im Moment noch überhaupt nichts sagen.«
Sie fühlte, dass ich ihr etwas vormachte, aber sie insistierte nicht weiter. Kurz darauf beendete ich unser Treffen und dankte ihnen für ihr Kommen. Felicia und die Jungen verschwanden schnell, aber Jennifer blieb noch da, nahm eine Nagelfeile und bearbeitete ihre Nägel.
»Was gibt’s, Jennifer?«
Sie legte die Feile beiseite und sah mich an.
»Nichts von alldem ergibt einen Sinn.«
»Was stört dich besonders?«
»Die Vorstellung, dass Jamey ein Massenmörder sein soll. Ich mochte ihn nicht, und ich weiß, dass er es sehr schwer hatte. Aber ein Mörder ist er nicht, das passt einfach nicht ins Bild.«
Menschen haben eine instinktive Abneigung gegen alle Versuche, ihresgleichen in ein bestimmtes psychologisches Schema einzuordnen. Ich sagte es ihr nicht, in ein paar Jahren würde sie ganz von selbst darauf kommen. Die Fragen, die sie aufgeworfen hatte, waren jedoch konkreter Natur und stimmten mit den meinen überein.
»Davids Erklärung leuchtet dir also nicht ein?«
Sie schüttelte den Kopf, wobei ihre Plastikohrringe heftig hin und her schaukelten.
»Sie meinen, dass Jamey von Chancellor zum Töten
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