Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
getrieben wurde? Nein. Jamey mag ihn bewundert haben, aber er war ein Individualist, jemand, den man nicht einfach programmieren kann. Er ist alles andere als eine Spielfigur.«
»Und wenn seine psychische Krankheit seine Individualität schwächte und er angreifbar wurde?«
»Manische Typen wie Chancellor machen sich an Willensschwache ran, Leute mit wenig Selbstbewusstsein, die Persönlichkeitsstörungen haben. Schizophrene lassen sie in Ruhe. Und wenn Jamey eine Psychose hatte, dann war er viel zu unberechenbar, um programmiert zu werden, glauben Sie nicht?«
Jennifer war brillant und hatte einen eigenen Kopf, sie brachte ihre Fragen außerdem mit jugendlichem Feuereifer vor.
»Du sprichst sehr wichtige Punkte an«, sagte ich, »ich wünschte nur, ich könnte deine Fragen beantworten.«
»Das erwarte ich doch gar nicht von Ihnen! Die Psychologie ist lange nicht wissenschaftlich genug, um präzise Antworten zu geben.«
»Stört dich das?«
»Es stört mich nicht, gerade das ist doch das Faszinierende an der Sache.«
Als Karen sah, dass ich mich auf Saritas Bürotür zubewegte, kam sie voller Entrüstung angelaufen, ihre Haltung war feindselig, »Ich dachte, Sie wollten sie heute nicht in Anspruch nehmen?«
»Ich müsste sie ein paar Kleinigkeiten fragen. Es wird nicht lange dauern.«
»Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen.«
»Vielen Dank, das ist nett, aber ich muss selbst mit ihr sprechen.«
Ihre Nüstern weiteten sich, sie kniff die Lippen zusammen. Ich wollte zur Tür, aber sie stellte sich davor. Nach einem Moment unangenehmen Schweigens glitt sie anmutig zur Seite, wandte sich um und ging. Ein Dritter hätte nicht erraten, was da vorging.
Auf mein Klopfen folgten das Quietschen und Rutschen der Reifen auf dem Vinylboden. Die Tür öffnete sich nach außen, Sarita ließ mich eintreten und schloss selbst die Tür. Sie rollte rückwärts, hielt hinter ihrem Schreibtisch, der über und über mit Computerausdrucken bedeckt war.
»Guten Morgen, Alex. Hat dich euer Treffen weitergebracht?«
»Das sind wirklich einsichtige Kinder.«
»Das sind sie wirklich.« Sie lächelte mütterlich. »Sie haben sich fantastisch entwickelt, zu richtigen Prachtexemplaren.«
»Das muss für dich ein echtes Erfolgserlebnis sein.«
»Ist es auch.«
Das Telefon klingelte. Sarita nahm den Hörer ab, sagte mehrmals Ja und legte lächelnd auf.
»Es war Karen. Sie sagt, dass sie dich gebeten hätte, mich nicht zu stören, weil ich viel zu tun habe. Du wärst einfach rücksichtslos hier reingegangen.«
»Eine echte Beschützerin.«
»Sie ist treu und anhänglich, was heute verdammt selten ist.« Sie rollte ein wenig zur Seite. »Sie ist ein beachtliches Mädchen. Sehr intelligent. Sie ist in Watts aufgewachsen, lief mit elf von zu Hause weg, fünf Jahre lang hat sie mehr oder weniger auf der Straße gelebt und Dinge gesehen und getan, von denen wir nicht mal träumen würden. Mit sechzehn gab sie sich einen Ruck, besuchte die Abendschule und schaffte in drei Jahren den High-School-Abschluss. Sie las in der Zeitung einen Artikel über mein Projekt, dachte, das sei vielleicht eine Chance für sie weiterzustudieren. Eines Morgens kam sie hierher und wollte sich testen lassen. Ihre Geschichte beeindruckte mich, und da sie mir intelligent erschien, stimmte ich zu. Sie schnitt sehr positiv ab, aber nicht gut genug, um angenommen zu werden. Ich fand es aber schade, sie laufen zu lassen, und so machte ich sie zur Forschungsassistentin. Nebenher studiert sie. Sie möchte nach Boalt oder Harvard, um Jura zu studieren. Das schafft sie sicher.« Sarita lächelte wieder und strich sich einen Fussel vom Kragen. »Wie kann ich dir helfen, Alex?«
»Ich möchte Gary Yamaguchi treffen, dazu brauche ich seine Adresse.«
Ihr Lächeln erlosch.
»Ich kann sie dir gerne geben, aber das wird nicht viel nützen. Im letzten halben Jahr hatte er keinen festen Wohnsitz.«
»Das weiß ich, aber ich werde mein Bestes versuchen.«
»Na gut«, sagte sie kalt. Sie rollte auf einen Schrank zu, öffnete ein Fach und zog einen Ordner heraus. »Hier, schreib sie dir ab.«
Ich nahm mein Notizbuch zur Hand. Bevor ich es öffnen konnte, begann sie, mir eilig eine Adresse zu diktieren, einen westlich vom Stadtzentrum gelegenen Ort, ein düsteres, heruntergekommenes Viertel, in dem zumeist illegale Einwanderer und Sozialfälle in Slums leben. Kleine Nähateliers und verrottete Bars prägen das Straßenbild. In den letzten Jahren hatten Künstler und
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