Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Leute, die sich dafür hielten, sich dort illegal einquartiert, zumeist in ehemaligen Fabrikhallen.
»Danke, Sarita.«
»Was versprichst du dir von einer Unterredung mit ihm?«, fragte sie.
»Ich möchte so viel über Jamey wissen wie nur irgend möglich.«
»Mit ihm wirst du aber nicht weit kommen...«
Wieder ertönte das Telefon. Sie nahm den Hörer und sagte energisch: »Ja, bitte.« Während sie dem Anrufer lauschte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, sie sah nicht mehr verärgert aus, sondern erstaunt, schließlich geschockt.
»O nein, das ist ja furchtbar! Wann … ja, er ist hier. Ich sage es ihm.«
Sie legte den Hörer auf.
»Das war Souza, er rief vom Gefängnis aus an. Heute Morgen früh hat Jamey versucht, sich umzubringen. Souza will, dass du so schnell wie möglich hinfährst.«
Ich sprang auf und nahm mein Notizbuch.
»Ist er schwer verletzt?«
»Ich weiß nur, dass er noch am Leben ist.«
Sie rollte auf mich zu und wollte mich offenbar trösten und aufmuntern. Ich lief so schnell aus dem Zimmer, dass ich ihre Worte nicht mehr hören konnte.
17
Jamey war in eines der Krankenzimmer verlegt worden, die Montez mir während der Gefängnisbesichtigung gezeigt hatte. Drei Beamte, darunter Sonnenschein, standen vor der Tür und hielten Wache. Ich blickte durch das verglaste Türfenster und sah Jamey auf dem Bett liegen, das Gesicht nach oben, den Kopf in einem blutbefleckten Verband, die spindeldürren Gelenke in Handschellen. In einer Armbeuge steckte eine Dauertropfkanüle. Inmitten von Jameys Gazeturban konnte man ein Stück Haut erkennen, ein paar Quadratzentimeter seines Gesichts, das schlimm zugerichtet und stark geschwollen war. Jamey schlief, vielleicht war er sogar bewusstlos. Seine purpurroten Lider waren geschlossen, seine aufgesprungenen Lippen halb geöffnet und schlaff.
Souza stand neben einem kleinen bärtigen Mann, der etwa Anfang dreißig war. Der Anwalt trug einen metallfarbenen Anzug aus Rohseide, der mich entfernt an eine Rüstung erinnerte. Als er mich erkannte, kam er auf mich zu und sagte verärgert:
»Er hat sich mehrmals mit voller Wucht gegen die Zellenwand geworfen.«
Er blitzte die Beamten an, diese zeigten jedoch versteinerte Mienen.
»Brüche oder innere Verletzungen scheint er nicht zu haben, das meiste hat er am Kopf abbekommen, und Doktor Platt vermutet, dass er eine Gehirnerschütterung hat. Er will ihn ins Bezirkskrankenhaus verlegen. Sie holen ihn jede Minute ab.«
Dr. Platt sagte nichts. Er hatte einen ungebügelten Kittel an, darunter Jeans und ein grobes Hemd und trug eine schwarze Ledertasche. Am Kittel steckte ein Schild, auf dem sein Name und »Facharzt für Neurologie am Bezirkskrankenhaus« standen. Ich fragte ihn, für wie schwerwiegend er die Verletzungen halte.
»Nicht einfach zu sagen«, antwortete er leise, »vor allem, wo der Patient psychotisch ist. Ich wurde sehr plötzlich gerufen und habe deshalb nicht alle Geräte für eine genaue Diagnose dabei. Die Reflexe sehen normal aus, aber bei Kopfverletzungen kann man nie wissen. Wir beobachten ihn jetzt erst mal ein paar Tage, damit wir uns ein präzises Bild von seinem Zustand machen können.«
Ich blickte noch einmal durch das Fensterchen, Jamey lag noch genauso da wie vorher.
»Dass so viel für die Sicherheit des Patienten getan wird, wirft ja ein ganz neues Licht auf die Sache«, sagte Souza so laut, dass die Aufsichtsbeamten es hören mussten. Dann zog er ein Diktiergerät aus der Tasche und beschrieb mit Advokatenstimme die Einzelheiten von Jameys Selbstmordversuch. Er ging zu den Beamten und las ihre Namen ab, die auf kleinen Schildern standen und an der Uniform befestigt waren. Er buchstabierte die Namen mit übertriebener Deutlichkeit. Ich weiß nicht genau, ob er sie damit einschüchterte, wenn, dann ließen sie sich jedenfalls nichts anmerken.
»Was ist in dem Tropf?«, fragte ich Dr. Platt.
»Eine Nährlösung, sonst nichts. Er wirkte ziemlich unterernährt, das Risiko, dass er zu viel Flüssigkeit verliert, war mir zu groß, vor allem, wenn er möglicherweise innere Blutungen hat.«
»Da muss er ja ganz schön was abgekriegt haben.«
»Das kann man sagen, er muss sich mit aller Kraft gegen die Wand geworfen haben.«
»Eine scheußliche Art, sich das Leben zu nehmen.«
»Allerdings.«
»Haben Sie so etwas schon öfter gesehen, Doktor?«
Platt schüttelte den Kopf. »Das ist nicht mein Fachgebiet, ich arbeite in der Rehabilitation, kümmere mich um das Wachstum von
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