Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Muskeln. Die Ärztin, die für Gefängnisse zuständig ist, hat gerade Mutterschaftsurlaub. Ich vertrete sie nur. Sie hat solche Sachen schon oft erlebt, vor allem PCP-Opfer.«
»Dieser Junge hat aber nie Drogen genommen.«
»Ich bin mir da nicht so sicher.«
Es näherten sich Schritte, zwei Krankenpfleger kamen mit einer Trage. Einer der Aufsichtsbeamten schloss den Raum auf und ging hinein, gleich darauf steckte er seinen Kopf durch die Tür und murmelte:
»Okay.«
Danach ging ein zweiter Beamter hinein. Sonnenschein blieb draußen, und als unsere Blicke sich trafen, nickte er mir kurz und bedeutungsvoll zu. Nun steckte der zweite Beamte den Kopf zur Tür heraus und rief die Pfleger und Dr. Platt herein. Die Pfleger trugen die Trage bis zur Türschwelle und schoben sie dann mit einiger Mühe ins Zimmer. Souza ging dicht an die Tür heran, versuchte, den Überblick nicht zu verlieren. Sein Gesichtsausdruck war finster. Ich folgte seinem Beispiel. Mit einigem Geziehe und Gezerre nahmen sie Jamey den Tropf ab, dann rollten sie seinen schmächtigen Körper vom Bett auf die Trage und befestigten den Tropf wieder. Einer der Krankenpfleger hielt die Flasche mit der Nährlösung und sagte: »Von mir aus kann’s losgehen.«
Platt nickte: »Los dann.«
Der andere Pfleger und die beiden Aufsichtsbeamten setzten sich in Bewegung und hoben die Trage an. Jameys Kopf rollte hin und her wie ein kleines Ruderboot, das auf dem Wasser schaukelt.
»Ich begleite meinen Mandanten zum Krankenwagen«, sagte Souza.
Niemand hatte etwas dagegen. Zu mir gewandt, sagte er: »Ich muss mit Ihnen sprechen. Seien Sie bitte in zehn Minuten am Gefängnistor.«
Ich erklärte mich einverstanden. Dann sah ich den Beamten nach, die Jamey wegbrachten.
Als wir allein waren, hob Sonnenschein bedeutungsvoll eine Braue und sagte, ich solle ihm folgen. Er ging langsamen Schrittes den Korridor entlang und führte mich zu einem nur mit Schlüssel zu benutzenden Aufzug. Insassen in gelben Pyjamas saßen in sich zusammengesunken auf Holzbänken und beobachteten uns. Ein durchdringender Schrei ertönte hinter einer Ecke. Die Station roch nach Erbrochenem und Desinfektionsmitteln.
Sonnenschein drehte seinen Schlüssel, und die Aufzugstür öffnete sich. Wir fuhren zum Parterre hinunter. Eine weitere Drehung mit dem Schlüssel, und der Aufzug hielt. Sonnenschein lehnte sich gegen die Wand und stützte seine Hände in die Hüften. Er sah mich durchdringend an und gab sich sichtlich Mühe, sein Mondgesicht unter Kontrolle zu halten, sein Unbehagen unter einer Maske von Feindseligkeit zu verbergen.
»Ich sollte besser die Schnauze halten, und wenn Sie mich verraten, werde ich allen erzählen, dass Sie ein Lügner sind«, sagte er.
Ich nickte, um zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte.
»Möchten Sie immer noch wissen, was er redet, wenn er seine Zustände hat?«
»Ja.«
»Also, heute Morgen schrie er rum und sagte immer wieder etwas von vergifteter Erde und blutigen Federn. Ansonsten stöhnte und grunzte er nur. Dann sagte er noch etwas wie, dass er ein erbärmlicher Kerl sei.«
»Sagte er etwas von einer verwerflichen Tat?«
»Könnte sein. Ja. Ist das wichtig?«
»Das ist sein Ausdruck für Selbstmord.«
»Hm.« Er lächelte gezwungen. »Heute Morgen muss er sich ziemlich verwerflich vorgekommen sein.«
»Wann begann er, sich selbst zu verletzen?«
»Das Schreien und Heulen fing ungefähr um sechs an. Ich ging hin, um nachzusehen, da hatte er sich schon wieder beruhigt und sah so aus, als schliefe er gerade ein. Dann hörte ich etwa zehn Minuten später einen dumpfen Schlag, so als hätte jemand mit einem Fleischklopfer auf eine Melone geschlagen. Ich lief hin. Jamey warf sich hin und her, schleuderte dabei seinen Kopf, als wolle er ihn von den Schultern werfen, und schlug ihn gegen die Wand. Sein hinterer Schädel sah aus wie Brei. Wir konnten ihn nur zu viert bändigen. Es war grausam.«
»Passieren solche Dinge auf der Hochsicherheitsabteilung oft?«
»Nein. Manchmal passiert es bei Neuzugängen, die noch im Drogenrausch sind. Wenn sie länger hier sind, bleiben sie clean. Ich habe Ihnen ja schon erzählt, es gibt immer den einen oder anderen, der verrückt spielt, aber sie gehen dabei nie so weit, sich so wehzutun.«
Er sah plötzlich besorgt aus. Ich wusste, was ihm zu schaffen machte, und redete offen darüber.
»Glauben Sie immer noch, er spielt Ihnen was vor?«
Er wischte sich mit der Hand über die Stirn, griff nach dem
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