Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Schmeichelei und meinem Berufsethos. Ich war ihm nützlich, weil ich Jamey früher behandelt hatte und weil ich offensichtlich etwas von meinem Fach verstand und es ernst nahm. Nun hatte er mich bei der ersten Gelegenheit zurück ins Wasser geworfen wie einen zu kleinen Fisch, um seinen Eimer mit wertvollerem Fang zu füllen.
Warum war ich eigentlich überrascht? Es hatte doch nie gutes Einvernehmen zwischen uns geherrscht, im Gegenteil, unser freundlicher Umgang hatte die inneren Spannungen nicht verbergen können. Souzas Erfolg basierte auf zahlreichen Manipulationen, er war daran gewöhnt, dass seine Mitarbeiter nach seiner Pfeife tanzten. Ich war alles andere als willfährig gewesen und deshalb nur ein Störfaktor. Chapin aus Harvard, Donnell aus Stanford, zwei angesehene Professoren mit langen Publikationslisten, ihnen machte es nichts aus, einen Patienten für unzurechnungsfähig zu erklären, den sie noch nicht einmal gesehen hatten, genau die richtigen Gutachter für Souza.
Ich bedauerte nicht, dass unsere Zusammenarbeit zu Ende war, wohl aber, dass ich nichts mehr für Jamey hatte tun können. Bisher warf die Sache mehr Fragen auf, als sie Antworten gab. Die einzige Erklärung, auf die sich alle hatten einigen können, lautete: Jamey ist schizophren. Alle mit Ausnahme von Sonnenschein hatten ihn für verrückt erklärt, und selbst er hatte seinen Zynismus abgelegt, nachdem er Zeuge geworden war, wie Jamey sich zugerichtet hatte. Die Verbrechen, deren man ihn beschuldigte, waren für einen Psychotiker absolut untypisch, wie eine junge Doktorandin mit Recht festgestellt hatte. Souza beschuldigte, ohne lange zu überlegen, einen Toten. Allerdings hatten sowohl Jameys Kollegen als auch seine Erzieher bemerkt, welch großen Einf luss Chancellor auf ihn ausübte. Er hatte ihn von der Poesie abgebracht und ihn für Wertpapiere interessiert. Dass aber sein Einfluss so weit gegangen war, ihn zum Mörder zu machen, war mehr als fraglich.
Bei näherem Hinsehen war die Diagnose einer Schizophrenie alles andere als eindeutig. Das Krankheitsbild war untypisch, und Jameys Reaktion auf Medikamente war unberechenbar. Außerdem hatte es einige, wenn auch kleine Anzeichen für Drogenmissbrauch gegeben. Zwar waren Sarita Flowers und Heather Cadmus sicher, dass er nie Stoff genommen hatte, aber die Jugendlichen aus dem Projekt waren ganz anderer Meinung. Für Mainwaring wiederum spielte das überhaupt keine Rolle, da man Jameys unvorhersehbare Reaktion auf Medikamente auch auf einen Hirnschaden zurückführen konnte. Er mochte Recht haben, aber warum hatte er dann an Jamey keine gründliche neurologische Untersuchung vorgenommen? Dass er sich ausschließlich für eine medikamentöse Behandlung interessierte und so eine schlampige Patientenkartei führte, machte mich seinem Urteil gegenüber äußerst skeptisch. Auch die Familiengeschichte der Cadmus als eine Geschichte vererbten Wahnsinns leuchtete mir nicht ganz ein. Hatten die bei Antoinette, Peter und Jamey aufgetretenen Störungen überhaupt miteinander zu tun? Und war die Erhängung Chancellors tatsächlich so etwas wie ein symbolischer Vatermord? Ich hätte noch ein weiteres Gespräch mit Dwight Cadmus führen müssen, um mehr Licht in dieses Dunkel zu bringen.
Ich hätte auch gerne noch mit einigen anderen Personen gesprochen. Gary Yamaguchi und die Krankenschwestern, die überschwängliche Miss Brown und die spröde Mrs. Vann. Die verschiedene Haltung der beiden Pflegerinnen stellte eine weitere Schwierigkeit dar. Die privat engagierte Schwester hatte Jamey positiver beurteilt als alle anderen. Aber er hatte sie überfallen an dem Abend, an dem er floh. Andrea Vann hatte ihn als schwer krank bezeichnet, was sie jedoch nicht davon abgehalten hatte, die Station in jener Nacht unbewacht zu lassen. Und jetzt war sie fort.
Zu viele Fragen, zu wenig Antworten, und ein körperlich und seelisch zerschlagener Junge, der den Rest seiner Tage in einem Albtraum würde verbringen müssen.
Souza hatte mich aus dem Geschehen ausgeschlossen, bevor ich irgendeine dieser Fragen hatte lösen können. Während ich so vor mich hin grübelte, war ich mit meinem Wagen in den Union District gelangt, unweit von der Stelle, in der Gary nach Saritas Auskunft zuletzt gewohnt hatte.
Souza hatte mich an meine Schweigepflicht erinnert. Ich durfte mit niemandem über die Sache reden, trotzdem konnte ich weiter nachforschen, auf mich selbst gestellt.
Das Gebäude befand sich in der Mitte des
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