Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
begleitet, die Schwester der Braut, Lucy, die er - so behauptete der Reporter - erst kürzlich auf dem Debütantinnenball in Las Flores kennen gelernt hatte.
Die Bekanntschaft zwischen Souza und der Cadmus-Familie ging also weit über das Berufliche hinaus, was allerdings nicht unüblich ist. Wohlhabende Familien pflegen durchaus auch solche Beziehungen zu Leuten, die für sie arbeiten. Bislang aber hatte ich keinerlei Anzeichen dafür entdeckt, dass eine Liebesaffäre mit im Spiel gewesen sein könnte. Souza war hochgefahren, als ich ihn danach gefragt hatte, und ich hatte überlegt, ob seine heftige Reaktion allein durch Verletzung der Privatsphäre hervorgerufen worden war. Vielleicht steckte noch mehr dahinter, möglicherweise unerwiderte Liebe.
Ich fand noch weitere Mikrofilmrollen und suchte darauf nach weiteren Belegen für eine Verbindung von Souza und Lucy. Zunächst war meine Suche vergeblich, keiner von beiden wurde erwähnt, aber in einer Zeitung vom Juni 1948 fand ich etwas, das meine Vermutung weiter bestätigte: Die Ankündigung der Hochzeit von Lucy mit Dr. John Arbutnot aus New York City in Newport, Rhode Island.
Einen Moment lang genoss ich meinen Erfolg als Schreibtisch-Detektiv, aber dann fiel mir ein, dass ich nicht wegen Souzas Liebesleben hergekommen war. Ich musste einen anderen Geist zum Leben erwecken, den einer anderen Simpson-Tochter, einer finsteren, gequälten Person. Nach Meinung des Anwalts die Spenderin eines schädlichen Erbfaktors, der Jameys Chromosomen geschädigt hatte.
Ich sah noch einmal alle Filme nach Hinweisen auf Antoinette durch. Nichts deutete auf eine psychische Krankheit hin, und ich war deshalb nicht weiter überrascht. Die Ankündigung ihrer Verlobung für den nächsten Frühling, in den Jahrgängen davor die übliche Prahlerei mit Comingout-Partys, Wohltätigkeitsbällen und dem karitativen Getue, das man von einer jungen Dame der Gesellschaft erwartet.
In einer Notiz vom September 1946 fand ich schließlich die Beschreibung einer nächtlichen Party auf einer Yacht, die von San Pedro bis Catalina gefahren war.
Die Fahrt war zugunsten verwundeter Kriegsveteranen veranstaltet worden. Die Gästeliste war aus dem Who is Who von Los Angeles abgeschrieben, und erwähnt wurde auch »die schöne Miss Antoinette Hawes Simpson, die die ganze Nacht hindurch mit ihrem Verehrer Major Horace A. Souza, Esq., tanzte, der gerade von der Front in Europa zurückgekehrt ist«.
Ich war zuerst verwirrt, dann suchte ich weiter und fand noch drei andere Artikel, in denen die spätere Mrs. Cadmus und Mr. Souza als das Paar der Zukunft beschrieben wurden. Alle waren im Sommer’46 erschienen, und nach dem Reporter zu urteilen, war es eine ernste Verbindung. Sie hielten Händchen auf einer Siegerehrung in Santa Anita, nahmen an einem Sektfrühstück in der Hollywood Bowl teil, aus der mit Klimaanlage gekühlten Halle des Albacore Club beobachteten sie gemeinsam das Herannahen der Flut an einem heißen Augusttag. Aber mit Ende des Sommers war offenbar auch ihre Romanze zu Ende gegangen, man hörte nichts mehr von Antoinette in männlicher Begleitung, bis zu der Ankündigung ihrer Verlobung mit Jack Cadmus einige Monate später.
Unerfüllte Liebe auch hier.
Souzas Beziehung zur Familie Cadmus war also doch verworrener, als ich gedacht hatte. Wie war es gekommen, dass er vom Freier zum Zuschauer wurde? Hatten die beiden Männer als Rivalen um die Hand des Mädchens geworben, oder war Cadmus nur der Erblasser einer gestorbenen Liebe gewesen? Sicherlich war Souza einer der wichtigsten und besten Mitarbeiter von Cadmus, sonst hätte es wohl kaum eine weitere Verbindung zwischen ihnen gegeben. Aber ganz ohne Wettkampf konnte das nicht vor sich gegangen sein. Vielleicht war Souza der Sieg von Cadmus, den er verehrte, rechtens erschienen: Der Bessere hatte gewonnen. Eine solche Erklärung wäre logisch für jemanden, der keine hohe Meinung von sich selbst hat, Souza jedoch erschien mir alles andere als komplexbeladen. Man weiß natürlich nicht, welche Entwicklung ein Mensch in mehreren Jahrzehnten durchläuft, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass der Anwalt damals ein Riesenangeber gewesen war.
Er hatte nun Jack Cadmus zum Halbgott erhoben und Antoinette zu einer kränklichen Missgeburt erklärt, die aufgrund ihres Erbguts für die Krankheit ihres Enkels und indirekt auch für seine Verbrechen verantwortlich war. War dies die Folge einer nie verheilten Wunde, oder hatte Souza seinen
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