Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Morgen.
»Du bist hässlich!«, blökte er.
»Danke«, antwortete ich und trat ein paar Schritte zurück.
»Wirklich sehr hässlich.«
Ich wandte mich ab, aber da lag schon wieder die Hand auf meiner Schulter.
»Es reicht«, sagte ich verärgert und schob die Hand weg.
Er lachte noch lauter und begann zu tänzeln.
»Hässlich, hässlich!«, rief er immer wieder.
Ich drehte den Schlüssel im Schloss. Er kam näher. Meine Nasenf lügel zogen sich zusammen.
»Hässlich, ja das bist du, und reich außerdem!«
Jesus, war das ein Tag! Ich fasste in meine Tasche und gab ihm all mein Kleingeld. Er betrachtete es prüfend und lächelte wirr.
»Wirklich hässlich, und ein echter Reicher! Ich hab was für dich, wenn du auch was für mich rausrückst.«
Er hauchte mich an und machte keinerlei Anstalten zu gehen. Zwei andere Clochards, die schon vom Alkohol ganz benebelt waren, nahmen uns überhaupt nicht wahr. Zwei junge Mexikaner kamen vorbei und lachten. Er kicherte und kam noch näher. Ich hätte ihn zur Seite schieben können, aber dann wäre er wahrscheinlich gleich gestürzt, so schwächlich war er.
»Was wollen Sie?«, fragte ich ärgerlich.
»Sie suchen nach dem kleinen Jappi mit den Nägeln im Haar, stimmt’s?«
»Woher wissen Sie das?«
»Du bist hässlich und nicht hübsch.« Er klopfte sich auf seine eingefallene Brust. »Aber Mudpie ist hübsch.«
Er streckte mir feierlich die Hand entgegen, eine mokkafarbene Scheibe mit schwarzen Linien durchsetzt.
»Also gut, Mudpie«, sagte ich, zog meine Brieftasche heraus und gab ihm einen Fünfdollarschein. »Was wollen Sie mir erzählen?«
»Scheiße«, sagte er, nahm den Schein und ließ ihn schnell irgendwo in seinen Lumpen verschwinden, »dafür kann ich dir ein Lied vorsingen und ein bisschen tanzen. Du bist reich und hässlich, warum gibst du Mudpie nicht, was er verdient?«
Nachdem er zehn Dollar bekommen, einige Sekunden gezögert und noch ein wenig zu feilschen versucht hatte, rückte er endlich mit der Sprache heraus:
»Gestern bist zuerst du gekommen, und jetzt bist du wieder hier und schnüffelst herum. Aber du bist nicht der Einzige, da sind noch zwei Knaben, die auch den Japs suchen. Sie sind hässlich, aber nicht so wie du. Sie sind echt hässlich. Die haben immer ihren Stock dabei.«
»Wie viele sind es?«
»Zwei.«
»Wann waren die hier?«
»Nachts, vielleicht Mitternacht, vielleicht vorher.«
»Letzte Nacht?«
»Scheint so.«
»Fuhren sie ein Motorrad?«
»Vielleicht.« Er zuckte die Achseln.
»Sie haben nicht gesehen, womit sie gefahren sind?«
»Mudpie hat Angst, sie sehen aus wie Nazis.«
»Mudpie, erinnern Sie sich sonst an irgendetwas, vielleicht wie groß sie waren, die Art, wie sie redeten?«
Er nickte finster.
»Ja, das weiß ich genau.«
»Und wie sind sie?«
»Hässlich.«
Ich rief Milo von einer Telefonzelle in Little Tokio an. Er war nicht da, und so hinterließ ich eine Nachricht. Ein Telefonbuch, von dem nur noch die Hälfte übrig war, baumelte an einer Kette. Es war zum Glück die richtige Hälfte, und so fand ich die Nummer von Voids will be Voids in der Los Angeles Street. Ich rief in der Galerie an, aber dort hörte ich nur den Anrufbeantworter. Eine träge Männerstimme erklärte, dass die Galerie erst um vier Uhr öffne. Ich hatte noch sechs Stunden Zeit. Ich aß beim Chinesen und fuhr in die Public Library auf der Fünften Straße. Um halb eins saß ich am Mikrofilmgerät und suchte ganze Jahrgänge von Zeitungen durch. Ich brauchte eine Weile, bis ich mit dem Gerät zurechtkam, aber dann hatte ich sehr schnell gefunden, was ich suchte.
19
Die Hochzeit zwischen Miss Antoinette Hawes Simpson aus Pasadena und Colonel John Jacob Cadmus aus Hancock Park nahm in der Ausgabe vom 5. Juli 1947 in der Rubrik »Gesellschaftliche Ereignisse« der Los Angeles Times einen breiten Raum ein. Neben einer begeisterten Schilderung der Hochzeitsfeierlichkeiten, die im Rosengarten der von den Neuvermählten gebauten Prachtvilla stattgefunden hatten, war ein großes Foto zu sehen; es war darauf ein Bilderbuchpaar zu sehen, ein hoch gewachsener Bräutigam mit gepflegtem Schnurrbart und breiten Kinnladen, die Braut zehn Jahre jünger, tiefschwarzes Haar, sanft wie ein Renoir-Porträt und mit einem Strauß weißer Teerosen, den sie scheu gegen ihre Brust drückte. Zu ihren Begleitern gehörten ein Stadtrat, ein Senator und ein paar ausgewählte Nachkommen. Ein gewisser Major Horace Souza, Esq., hatte die Brautjungfer
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