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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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denke schon. Das machen doch alle Punks so.«
    Sie drehte die Flamme unter einem Kochtopf kleiner. Mir fiel ein, dass Gary sich gegenüber Josh gerühmt hatte, als Künstler Erfolg zu haben, und ich sagte:
    »Er hat jemandem erzählt, dass er in einer Galerie im Zentrum eine Ausstellung hat. Wissen Sie, wo das sein könnte?«
    Sie legte den Finger an die Lippen und leckte daran.
    »Ja, er hat mir davon erzählt. Wir trafen uns eines Abends im Hausflur, und er sagte mir, dass er mein Essen abscheulich findet - so ein kleines Ekel ist er. Ich sagte ihm, er könne mir im Mondschein begegnen. Das gefiel ihm. Er lächelte und gab mir einen Handzettel, eine Art Einladung zu seiner Ausstellung. Er gehört zu den Pseudokünstlern, die ihren Kram in der Galerie Voids will be Voids ausstellen. Ich sagte zu ihm: ›Na, das ist ja toll, aber du bist und bleibst für mich ein kleiner Idiot.‹ Auch das gefiel ihm, und er antwortete mit irgendeiner Anzüglichkeit.« Sie schüttelte den Kopf. »Können Sie sich vorstellen, dass ich mit einem dieser kleinen Nichtsnutze schlafe? Schauriger Gedanke.«
    Ich fragte sie, wie viele Jugendliche in der Wohnung gewohnt hätten.
    »Er und seine Freundin, ein blondes Mädchen aus dem Valley, das sah man ihr gleich an. Sie war bestimmt gerade erst vierzehn. Dann war da noch Richard, der reiche Muttersohn, dessen Vater das Haus gehört, dann dessen Freundin und noch ein paar ausgesuchte Flippies. Letzte Woche waren nur Yamaguchi und die Blonde hier, weil Richard mit den Flippies in Urlaub gefahren war. Was wollen Sie denn eigentlich von ihm?«
    »Ich brauche ein paar Informationen.«
    »Zählen Sie nicht auf ihn. Diese Art von Jugendlichen interessiert sich nicht dafür, anderen zu helfen.«
    Ich sagte, dass sie wahrscheinlich Recht hätte, und dankte, dass sie mich hereingelassen hatte.
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mir seine Wohnung mal ansehe?«
    »Was hab ich damit zu tun?«
    »Könnten Sie auf Nurejew und Barischnikow aufpassen, solange ich dort bin?«
    »Na klar. Aber sie sind sowieso ganz lieb.«
    Ich verließ ihre Wohnung, und sie rief mir nach:
    »Ich hoffe, dass Sie Schnupfen haben.«
    Wenige Augenblicke später wurde mir klar, was sie gemeint hatte. In der Wohnung roch es wie in einem heruntergekommenen Obdachlosenasyl. Überall lagen ekelhaft verschmutzte Kleider herum, Essensreste und grässliche Flecken zierten den Boden. Die Toilette war verstopft, und bräunliches Wasser lief in Rinnsalen auf den Holzboden. Die Möbel, sofern man es so nennen konnte, waren aus Sperrholz und Sägeböcken zusammengehauen. Die Einbrecher hatten das, was noch heil gewesen war, endgültig in Stücke gehauen. Auf einer Werkbank stand eine Lötlampe, daneben lagen Metallteile und Schablonen, Fischgräten, eine Barbiepuppe ohne Kopf - ich sah ihn dann daneben liegen - und angeschmolzene Plastikteile. Eine Ecke des Raums war ganz durch Stapel von moderigen alten Zeitungen verdeckt. In einer anderen lagen Unmengen von alten Keksdosen mit Küchenschaben und leere Mineralwasserdosen. Ich sah mich eine Weile um, aber ich fand nichts, und dann überkam mich heftige Übelkeit.
    Ich verließ den Raum, wieder schlug mir Basilikumgeruch entgegen, ich rief Auf Wiedersehen und ging steif an den Dobermännern vorbei. Sie schienen zu grinsen und knurrten leise, aber sie rührten sich nicht, als ich die Treppe hinunterging. Als ich draußen war, musste ich erst mal nach Luft schnappen, selbst der Smog erschien mir angenehm.
    Während ich den Seville aufschloss, legte plötzlich jemand die Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich schnell um und sah, dass es einer der Clochards war. Seine zerfetzten Kleider waren so schmutzig, dass sie zu seiner ungewaschenen Haut passten. Man konnte nicht sehen, wo die Kleider begannen und die Haut aufhörte, und so wirkte er wie eine nackte Kreatur, die in irgendeinem Kellergewölbe haust.
    Das Weiße in seinen matten, trüb blickenden Augen war ganz gelb. Er konnte vierzig, aber auch achtzig sein, hatte keine Zähne mehr, ging gebeugt und war ausgezehrt, der Bart in seinem hohlwangigen Gesicht schien aus Draht zu sein. Auf dem Kopf trug er eine speckige Skimütze, die bis über die Ohren reichte. Darauf war ein Button mit der Aufschrift I LOVE YOU L. A. festgesteckt. Das Wort LOVE war durch ein Herz ersetzt.
    Der Mann schlug sich auf die Knie und lachte. Sein Atem roch nach Muskateller und ranzigem Käse. Ich zuckte zusammen. Die reinste Geruchsfolter war das heute

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