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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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und gab ihnen ein paar Geldscheine. Ich weiß nicht, ob Gary das Geld sah, jedenfalls tat er, als sei nichts geschehen. Das Mädchen nahm das Geld, untersuchte es und steckte es sich in den Gürtel. Ich wusste, dass ich sie damit nicht kaufen konnte, aber vielleicht würden sie sich davon etwas zu essen besorgen.
    »Gary«, fragte ich, »hat Jamey Drogen genommen?«
    »Ja.«
    Die Antwort kam so beiläufig, dass ich erschrak.
    »Woher weißt du das?«
    »Er warf Trips ein.«
    »LSD?«
    »Ja.«
    »Hast du ihn je dabei beobachtet?«
    »Nein.«
    »Also schließt du es nur aus seinem Verhalten.«
    Er berührte die Feder an seinem Ohrring.
    »Ich kenne mich mit Trips aus«, sagte er.
    »Dr. Flowers und die anderen waren sicher, dass er keine Drogen nahm.«
    »Die sind primitive Automaten.«
    »Kannst du mir sonst noch etwas über Jamey und seinen Drogenkonsum sagen?«
    »Nein.«
    »Hast du ihn je etwas anderes als LSD nehmen sehen?«
    »Nein.«
    »Glaubst du, er nahm auch andere Sachen?«
    »Ja.«
    »Und was?«
    »Speed, Beruhigungs- und Aufputschmittel.«
    »Auch PCP?«
    »Ja.«
    »Und glaubst du, er nahm all diese Drogen, weil er über sich selbst unglücklich war?«
    »Ja«, sagte Gary gelangweilt.
    »Gary, glaubst du, dass er fähig wäre, all diese Menschen umzubringen?«
    Er brach in raues, wildes Gelächter aus, plötzlich und schauerlich wie ein Dolchstoß in der Nacht. Das Mädchen sah ihn verwundert an, dann stimmte sie in sein Lachen ein.
    »Was ist daran komisch, Gary?«
    »Das war eine alberne Frage.«
    »Und warum?«
    »Ist er in der Lage zu morden?« Wieder lachte er. »Ist er überhaupt fähig zu atmen?«
    »Ist das das Gleiche?«
    »Klar. Eins kann so einfach sein wie das andere, gehört alles zur Existenz des Menschentiers.«
    Das Mädchen nickte beifällig.
    »Kannst du mir sonst noch etwas erzählen?«
    »Nein.«
    Er nickte dem Mädchen zu, und sie wandten sich zum Gehen. Ich probierte es noch einmal.
    »Ich war vorhin in deiner Wohnung. Mir hat jemand erzählt, dass die Einbrecher zwei Motorradrocker waren, einer sehr dick, einer schlank.«
    Ich wartete auf Antwort, erhielt aber keine.
    »Keine Vorstellung, wer das sein könnte?«
    »Nein.«
    »Und du?«, fragte ich das Mädchen.
    Sie schüttelte den Kopf und verzog ärgerlich den Mund. Dennoch glaubte ich, eine Spur von Furcht in ihrem Gesicht zu sehen.
    »Hast du Kummer?«
    »Das Leben des Menschentiers«, plapperte sie Gary nach, »wir entwickeln uns alle zum Urschleim zurück.«
    Sie hatten sich umgewandt, und ich sah nur noch ihre Rücken.
    »Wo geht ihr hin?«, rief ich. »Wo finde ich euch, wenn ich euch noch was fragen muss?«
    Gary blieb stehen und drehte sich um, sehr langsam, damit man nicht glaubte, er taumele. In dem schwachen Licht des Hinterhofs sah ich sein konturloses, bleiches und verkniffenes Gesicht.
    »Wir ziehen nach Middleville, USA«, sagte er feierlich, »ich kriege einen Job am Fließband bei Ford. Da baue ich Türen in Lieferwagen ein. Slit tritt der PTA bei. Wir werden drei Blagen kriegen, und jeden Tag macht mir Slit mein Essen und gibt mir eine Thermoskanne und ein Kuchenpaket mit. Wir werden fernsehen und im Schlaf sterben.«
    Er stand da wie versteinert inmitten des Mülls. Dann nahm er mit einer brüsken Bewegung das Mädchen beim Arm und verschwand mit ihr außer Sichtweite.

20
    Als ich nach Hause kam, richtete Robin in der Küche gerade einen Salat her; sie gab mir zur Begrüßung einen Kuss, der nach Sardellen und Knoblauch schmeckte.
    »Hallo! Billys Manager hat angerufen und durchgegeben, dass Roland Oberheim morgen gegen drei für dich Zeit hat. Ich habe die Adresse auf deinen Nachttisch gelegt.«
    »Wunderbar«, sagte ich teilnahmslos, »wenn du Billy mal wieder siehst, richte ihm meinen Dank aus.«
    Sie sah mich spöttisch an.
    »Alex, das Ganze war nicht einfach zu arrangieren, du könntest schon ein bisschen mehr Begeisterung zeigen.«
    »Du hast Recht, es tut mir Leid.«
    Sie wandte sich wieder dem Salat zu. »Hattest du einen schlimmen Tag?«
    »Nur eine Vergnügungsfahrt durch die Slums.«
    Ich erzählte ihr in Kurzfassung, was ich in den letzten zehn Stunden erlebt hatte.
    Sie hörte mir zu, ohne zu unterbrechen, dann sagte sie:
    »Gary scheint ja wirklich Schwierigkeiten zu haben.«
    »Er ist von einem Extrem in das andere gefallen. Vor fünf Jahren war er genauso ordentlich, zwanghaft fleißig und zielstrebig, wie er jetzt rebellisch ist. Er wendet alle Kraft dafür auf, seinen Nihilismus zu

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