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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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glänzenden Gummistiefeln steckten. An einer Stahlkette hing eine rostige Rasierklinge um seinen Hals, an einem Ohrläppchen baumelte ein Ohrring aus Federn. Als Gürtel trug er ein Seil, an dem ein Klappmesser befestigt war. Gary war stark kurzsichtig und hatte immer eine Brille getragen, aber jetzt hatte er keine auf. Ich fragte mich, ob er Kontaktlinsen trug oder ob es vielleicht seiner neuen Lebensauffassung widersprach, körperliche Mängel künstlich zu beheben.
    Neben ihm stand ein zierliches Mädchen, das nicht älter als fünfzehn sein konnte. Sie hatte ein mürrisches Kindergesicht voller Akne, eine Stupsnase und einen dunkelvioletten, wirren Haarmop auf dem Kopf. Ihr Gesicht war weiß gepudert, schwarze Striche waren um die Augen gezogen, aber sie hatte ohnehin hohle Wangen und tiefe Schatten unter den Augen. Ihre Vorderzähne standen vor, sodass sie ihren Mund nicht ganz geschlossen hatte, die Lippen waren schwarz geschminkt. Man sah eine silberne Zahnspange mitten in dem Schwarz. Ich fragte mich, ob derjenige, der ihr die Zahnregulierung bezahlt hatte, sich immer noch um sie kümmerte.
    Trotz ihrer Aufmachung und ihrer einstudierten zornigen Haltung wirkten die beiden sanft und unschuldig, wie Hänsel und Gretel, von der bösen Hexe verzaubert.
    »Sind Sie jetzt zufrieden?«, fragte Buntstreifenkopf.
    Ich gab ihm die zwei Fünzigerscheine, und er hastete zurück ins Haus.
    »Gary?«
    »Ja.« Seine Stimme war sanft und leise, genauso emotionslos wie die Synthesizermusik in der Galerie.
    Mit jedem anderen hätte ich durch Reden über belanglose Dinge Kontakt aufzunehmen versucht, hätte über alte Zeiten gesprochen, Erinnerungen wachgerufen. Aber der Gary von früher und ich hatten nie viel miteinander zu tun gehabt, und das Wesen, das jetzt vor mir stand, war alles andere als eine Plaudertasche.
    »Danke, dass du gekommen bist. Ich möchte mit dir über Jamey reden.«
    Er kreuzte seine Arme über der Brust, und sein Kettenhemd klingelte leise.
    Ich ging ihm einen Schritt entgegen, er wich daraufhin zurück, aber nur so lange, bis er in eine Furche geriet und nach hinten zu fallen drohte. Das Mädchen packte ihn am Arm und bewahrte ihn vor dem Sturz. Als er wieder sicher dastand, hielt sie ihn weiter fest, als wolle sie ihn beschützen. Aus der Nähe sah ich, dass seine Augen vage in die Gegend schauten; es gelang mir nicht, seinem Blick zu begegnen.
    »Was wollen Sie?«, fragte er.
    »Du weißt sicher, in welcher Situation er steckt.«
    »Ja«, antwortete er teilnahmslos.
    »Sein Anwalt hat mich beauftragt, seinen Geisteszustand zu begutachten. Aber ich versuche aus persönlichem Interesse herauszufinden, was eigentlich passiert ist.«
    Schweigend und ohne Gefühlsregung sah er mich an. Seine Bewegungen waren mechanisch, als wäre er kein Wesen, sondern ein Art Synthesizer. Es war noch nie einfach gewesen, mit ihm zu reden, aber jetzt, in dieser Punkerverkleidung, war noch viel schwerer an ihn ranzukommen. Ich versuchte mein Glück weiter, ohne viel Hoffnung allerdings.
    »Die anderen Jugendlichen aus dem Projekt haben mir gesagt, dass ihr befreundet wart, dass er mit dir mehr redete als mit allen anderen zusammen. Kannst du dich erinnern, dass er Dinge geäußert hat, die irgendetwas mit dem zu tun haben, was sich ereignet hat?«
    »Nein.«
    »Aber es stimmt, dass ihr miteinander geredet habt.«
    »Ja.«
    »Worüber?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Weißt du es nicht mehr?«
    »Das gehört der Vergangenheit an, und die ist ausgelöscht.«
    Jetzt versuchte ich es auf dem direkten Weg.
    »Du hast eine Skulptur geschaffen, die sowohl den Selbstmord seines Vaters als auch die Lavendelmorde darstellt.«
    »Die Kunst ahmt Leben nach«, sagte er feierlich.
    »Du hast es Die verwerfliche Tat genannt, Gary. Diesen Ausdruck verwendete Jamey, wenn er von Selbstmord sprach.«
    »Ja.«
    »Warum? Was bedeutet all das?«
    Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen.
    »Kunst spricht für sich selbst.«
    Das Mädchen nickte und drückte ihn fester an sich.
    »Er ist ein Genie«, sagte sie. Erst jetzt bemerkte ich, wie dünn die beiden waren.
    »Manchmal«, sagte ich, »werden Genies zu Lebzeiten nicht anerkannt. Wie viel Prozent vom Verkaufserlös bekommst du von Voids für deine Sachen?«
    Er tat, als hätte er meine Frage nicht gehört, aber in den Augen des Mädchens erkannte ich so etwas wie den Wunsch nach etwas zu essen.
    Zwar fühlte ich mich wie ein Wohltätigkeitsverein, aber ich zog meine Brieftasche heraus

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