Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
meinem Blick aus, als er an mir vorbeiging.
Ich ging zurück zum Apartment Nr. 7, starrte wieder in das leere Wohnzimmer und fragte mich, was ich jetzt tun könnte. Da hörte ich plötzlich eine schrille Frauenstimme hinter mir, die fragte:
»Was suchen Sie?«
Ich wandte mich um und sah eine alte Frau mit einem gesteppten rosa Hausmantel und einem Haarnetz in der gleichen Farbe. Das Haar darunter sah aus wie ein zinnfarbener Helm und passte zu ihrer sonstigen Erscheinung. Sie war klein und hager, hatte einen schiefen Mund, herabhängende Wangen, ein spitzes Kinn und blaue Augen, die mich argwöhnisch ansahen.
»Ich suche Mrs. Vann.«
»Sind Sie ein Verwandter?«
»Ich bin ein Freund.«
»Ein so guter Freund, dass Sie ihre Schulden bezahlen?«
»Wie viel schuldet sie Ihnen denn?«
»Drei Monate hat sie schon keine Miete mehr gezahlt. Hielt mich immer wieder hin mit fadenscheinigen Entschuldigungen: Das Kindergeld käme zu spät, sie hätte Arztrechnungen und lauter solches Zeug. Ich hätte mich darauf gar nicht erst einlassen sollen. Aber ich habe es ihr immer wieder gestundet. Und das ist der Dank.«
»Wie hoch ist die Miete für drei Monate?«
Sie rückte ihr Haarnetz zurecht und zwinkerte mit den Augen.
»Also, um ehrlich zu sein: Ich habe noch die Kaution, die ist zwar nicht hoch, aber sie deckt anderthalb Monatsmieten ab. Es bleiben noch siebenhundertfünfzig. Glauben Sie, dass Sie so eine Summe für sie bezahlen würden?«
»Ach Gott«, sagte ich, »da sitzen wir beide im selben Boot. Sie hat sich bei mir Geld geliehen, ich bin eigentlich hier, um es abzuholen.«
»Na, das ist ja toll«, schnaubte sie. »Was für eine Hilfe.« Wieder zwinkerte sie mir zu.
»Wann ist sie weggegangen?«
»Letzte Woche. Schlich sich mitten in der Nacht davon wie ein Dieb. Ich habe es nur deshalb gemerkt, weil zu so später Stunde ihre Hupe losging. Sie saß in ihrem Wagen, redete mit irgendwelchen Nichtsnutzen und lehnte über dem Steuer, sodass die Hupe losging. Sie tat, als wäre nichts Besonderes dabei. Als sie mich sah, erschrak sie, machte ein schuldbewusstes Gesicht und raste davon. Was mich besonders überraschte, war, dass sie einen neuen Wagen hatte. Ihre alte Mühle hatte sie abgeschafft und sich einen spritzigen kleinen Mustang gekauft. Dafür hatte sie Geld, aber nicht für meine Miete. Wie viel schuldet sie Ihnen denn?«
»Eine ganze Menge«, sagte ich brummig. »Haben Sie eine Ahnung, wo sie hin ist?«
»Schätzchen, glauben Sie, ich würde mit Ihnen reden, wenn ich das wüsste?«
Ich musste lächeln.
»Kennen die anderen Mieter sie?«
»Nein. Wenn Sie ein Freund von ihr sind, müssen Sie der einzige sein. Sie hat in dem halben Jahr, in dem sie hier wohnte, nie mit jemandem gesprochen und auch keinen Besuch empfangen. Natürlich arbeitete sie nachts und schlief tagsüber, vielleicht lag es auch daran. Ich habe mich trotzdem immer gefragt, ob mit ihr etwas nicht stimmt. Sie sah so gut aus und war doch so isoliert.«
»Wissen Sie, wo sie ihre Arbeitsstelle hatte, als sie auszog?«
»Nirgendwo. Ich habe es daran gemerkt, dass sie nicht mehr wie immer morgens das Kind zur Schule brachte, dann den Tag über schlief, das Kind abends wieder abholte und zur Arbeit hetzte. Armes Schlüsselkind, wenn sie mich fragen, so darf man Kinder wirklich nicht erziehen, aber das machen sie heute ja alle so. Manchmal fragte sie mich, ob ich auf das Kind aufpassen könnte, ab und zu habe ich ihm einen Keks geschenkt. Vor ein paar Wochen wurde alles anders. Das Kind blieb mit ihr zu Hause. Gegen Mittag fuhr sie weg und nahm es mit. Erst dachte ich, der Junge sei krank, aber danach sah er gar nicht aus. Vielleicht hatte sie auch Ferien. Ich hätte ahnen können, dass sie bald nicht mehr zahlen würde, wo sie doch nicht mehr arbeitete. Aber so geht’s einem, wenn man zu vertrauensselig ist. Stimmt’s?«
Ich nickte verständnisvoll.
»Das Verrückte ist, dass ich das Mädchen mochte. Sie war ruhig, aber irgendwo schon ganz schön tüchtig. Zog das Kind ganz alleine groß. Das mit dem Geld hätte mir ja nichts ausgemacht, der Besitzer ist ein fetter Kater und braucht nicht um seine Existenz zu bangen. Die Lügerei kann ich nicht ausstehen, irgendwas zu erzählen, nur um davon zu profitieren.«
»Ich kann Sie gut verstehen.«
»Und was mich am meisten ärgert«, fuhr sie fort und stemmte die Hände in die Hüften, »ist dieser kleine Flitzer von Auto.«
Ich fuhr auf dem Freeway zurück und überlegte, weshalb Andrea
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