Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Er begann zu schluchzen. Es war eine dramatische Szene, und am liebsten wäre ich verschwunden. Ich beobachtete meinen Freund, um herauszubekommen, ob er ergriffen war, und glaubte, den Schimmer eines Mitgefühls auf seinem zerklüfteten Gesicht zu erkennen. Falls es je existiert hatte, war es jedenfalls schnell verschwunden.
Er beobachtete die beiden mit klinischem Interesse, sah unbeeindruckt zu, wie sie sich ihren Kummer mitteilten, bis er schließlich sagte:
»Auf der anderen Seite kann ich eventuell etwas für Sie tun.«
Sie fuhren auseinander und sahen ihn flehentlich an.
»Ich rede nicht über Straferlass, das müssen Sie verstehen. Nur über Schadensbegrenzung. Eine kleine Hilfe bei geheimen Tonaufzeichnungen. Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass das klappen wird. Selbst wenn wir zusammen ein Geschäft machen, bezweifle ich, dass Sie weiter in Kalifornien bleiben dürfen. Haben Sie verstanden?«
Stummes Nicken.
»Wenn Sie mir dabei helfen, an bestimmte Sachen heranzukommen, will ich alles tun, Sie so weit rauszuhalten, dass Sie woanders neu anfangen können. Wenn Sie sich darüber erst unterhalten wollen, bitte.«
»Das brauchen wir nicht«, erwiderte Andrea Vann.
»Sagen Sie, was wir für Sie tun sollen.«
Milo lächelte väterlich.
»Na, das nenne ich eine positive Einstellung.«
28
Es war ein kleiner, trister Raum mit gelangweilten Männern darin. Bei Einbruch der Nacht war die Luft säuerlich geworden.
Whitehead döste in einem schlampigen Lehnstuhl. Er hatte keine Schuhe an, sein Mund stand offen, und an der Wand hinter seinem Kopf klebte ein Kaugummi. Cash saß auf einem Tisch mit Plastikplatte, neben sich eine Lampe mit einem halb zerfetzten Schirm und einem goldenen Frauentorso mit überdimensionalem Busen als Fuß. Er wies überall da, wo die Goldfarbe vom Gips abgesprungen war, weiße Flecken auf. Cash rauchte Zigarette um Zigarette bis an den Filterrand und stapelte die Kippen in einem übervollen Aschenbecher.
Milo hockte am Fußende des Bettes, trank eine Diätcola und sah seine Notizen durch. Ich saß mit übereinander geschlagenen Beinen am Kopfende, hatte den Kopf gegen die goldene Tapete gelehnt und versuchte, die neueste Ausgabe einer psychologischen Fachzeitschrift zu lesen, jedoch mit wenig Erfolg.
Das Bett war eigentlich der einzige Ort, auf dem man in diesem Raum Platz finden konnte. Die riesige Fläche war mit einer glänzenden türkisfarbenen Samtdecke überdeckt, und daneben war kaum noch leerer Raum in dem Zimmer. Die anderen Polizisten hatten sich vorsichtig von dem Bett fern gehalten, obwohl sie viele Stunden warten mussten.
Die Videoausrüstung stand auf einem klebrigen Toilettentisch aus Holzimitat, davor saß Sergeant Ginzburg, Spezialist für Abhörtechnik, glatzköpfig, schnurrbärtig, mit Stiernacken und kräftigen Schultern. Nachdem er sämtliche Knöpfe und Kabel überprüft hatte, begnügte er sich mit kaltem Kaffee und einem Heft mit mathematischen Kniffeleien. Der Papierkorb quoll über von Styroporbechern, Hamburgerschachteln und zerknüllten Servietten. Neben dem Videomonitor lag ein angebissenes Sandwich.
Der Monitor zeigte den Raum nebenan, die so genannte Scheherazade-Suite des Love Palace; sie bestand aus einem einzigen Zimmer, genauso eingerichtet wie das unsere, nur war das Bett mit scharlachrotem Satin überdeckt, und es lag ein grauer Mann darauf. Diese Bezeichnung war maßlos übertrieben, wenn man bedachte, um was für eine Einrichtung es sich handelte: eine verlassene Motorwerkstatt, eine kleine Absteige außerhalb von Ventura, am östlichen Ende von Studio City gelegen, auf jenem vergessenen Landfinger, der in die Konfektdose mit Namen Hollywood reicht. Das Schild auf dem Dach kündigte »Filme für Erwachsene« und »Erotik-Massage« an, zwei Versprechen, die durch Videopornos und am Bett befestigte Vibratoren eingelöst wurden. Beides funktionierte nach Münzeinwurf. Cash hatte beide ausprobiert und für mangelhaft befunden. »Das soll eine Massage sein? Das hat gerade die Kraft einer Leichenhand! - Sieh dir das an, Cal! Der Mann ist voll gepumpt mit Drogen, sie besteht nur aus Falten und hat’ne Möse, dass du mit’nem Lastwagen durchfahren kannst. Nicht mal für Geld würde ich die bumsen.«
Plötzlich bewegte sich auf dem Bild etwas: Mainwaring erhob sich von dem Bett, ging auf und ab und näherte sich der Wand, die die Zimmer voneinander trennte. Er benetzte seine Lippen und blickte auf die Hängepflanze, hinter der die Kamera
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