Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
man Ihnen denn dafür gezahlt?«
»Nichts!«
»Scheiße.«
Da öffnete sich die Tür zum Flur, und eine Frau trat ein. Sie war jung, dunkelhaarig und wirkte mit ihrem feuerroten Rollkragenpullover und den engen Jeans sehr sinnlich. Lange schwarze Wimpern beschirmten ihre hellbraunen Augen. Mit ihren ausgeprägten Wangenknochen und den vollen dunkelroten Lippen wirkte sie wie die junge Sophia Loren.
»Das ist keine Scheiße«, sagte sie.
»Andrea!«, rief Mainwaring, plötzlich wieder energisch. »Halte dich aus der Sache raus. Ich bestehe darauf!«
»Das kann ich nicht länger, Liebling.«
Sie ging zu ihm hinüber, stellte sich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Als sie ihn mit den Fingern streichelte, zitterte Mainwaring.
»Er ist kein Verbrecher«, sagte sie. »Er ist weit davon entfernt und versucht, mich zu schützen. Ich bin Andrea Vann, Sergeant. Mich haben sie bezahlt.«
Ich habe Milo noch nie so schroff erlebt wie bei dem Verhör, das er mit ihr durchführte. Sie ertrug es unerschrocken, saß dabei kerzengerade und bewegungslos mit im Schoß gefalteten Händen auf der Couch. Wenn Mainwaring ihr helfen wollte, wies sie ihn mit kaltem Blick zurück. Schließlich gab er es auf und fiel in brütendes Schweigen.
»Erklären Sie mir das doch noch mal«, forderte Milo sie auf. »Jemand hat in Ihrem Apartment fünftausend Dollar und einen Brief deponiert, in dem Ihnen weitere fünftausend versprochen wurden, wenn Sie in einer bestimmten Nacht nicht auf Ihrer Station sind, und Sie haben keine Fragen gestellt.«
»Das stimmt.«
»Kommen solche Dinge bei Ihnen häufiger vor?«
»Überhaupt nicht. Es war völlig überraschend, wie ein Lotteriegewinn. Das erste Glück seit Jahren. Es störte mich, dass jemand bei mir eingedrungen war, und ich wusste auch, dass es schmutziges Geld war. Aber ich war bettelarm und konnte nicht mehr. So nahm ich es hin, ließ das Schloss auswechseln und sagte keinem was.«
»Und den Brief haben Sie weggeworfen.«
»Ich habe ihn zerrissen und in der Toilette runtergespült.« »Alles sehr bequem.«
Sie antwortete nicht.
»Erinnern Sie sich an die Handschrift?«, fragte Milo.
»Es war Druckschrift.«
»Und das Papier?«
Sie schüttelte den Kopf. »Mich interessierte nur das grüne Papier, Fünfzigdollarscheine. Zwei Pakete mit je fünfzig Scheinen. Ich habe sie zweimal durchgezählt.«
»Darauf hätte ich gewettet. Haben Sie beim Zählen nicht darüber nachgedacht, warum Sie jemand in dieser Nacht nicht auf der Station haben wollte?«
»Natürlich habe ich darüber nachgedacht. Ich habe mich aber gezwungen, keine Fragen zu stellen.«
Milo wandte sich an Mainwaring.
»Wie würden Sie das nennen, Guy? Verdrängung? Selbstverleugnung?«
»Ich war habgierig«, antwortete die Vann. »Verstehen Sie das? Ich sah Dollarscheine und weiter nichts. Habe mein Gehirn abgeschaltet. Möchten Sie das von mir hören?«
»Ich möchte die Wahrheit hören.«
»Die habe ich Ihnen gerade erzählt.«
»Gut«, sagte Milo und machte sich Notizen.
Sie zuckte die Achseln und fragte, ob sie rauchen dürfe.
»Nein. Wann haben Sie sich entschieden, Ihr Gehirn wieder einzuschalten?«
»Nachdem Jamey wegen Mordes verhaftet wurde. Da habe ich gemerkt, dass ich in eine schlimme Sache verwickelt war. Ich geriet in Panik - wirklich in Panik. Ich bekämpfte sie, indem ich mir Vorwürfe machte.«
»Wie bitte?«
»Ich redete mir immer wieder ein, dass es idiotisch sei, mir mein Glück durch Angst kaputtzumachen. Ich tat das immer wieder, wie bei einer Hypnose, bis ich mich beruhigt hatte. Ich wollte auch die anderen fünftausend haben und glaubte, ich hätte sie verdient.«
»Sicher, warum nicht? Ehrlicher Lohn für ehrliche Nachtarbeit.«
»Aber bedenken Sie doch«, bemerkte Mainwaring, »Sie...«
»Schon gut, Guy«, sagte die Vann, »er kann die Sache nicht schlimmer machen, als sie ist.«
Milo deutete mit dem Daumen auf Mainwaring.
»Wie lange haben Sie beide schon etwas miteinander?«
»Schon fast sieben Monate. Wir haben am nächsten Dienstag Geburtstag.«
»Herzlichen Glückwunsch. Wollen Sie heiraten?«
Sie tauschte mit dem Psychiater bedeutungsvolle Blicke. Seine Augen wurden feucht.
»Ja.«
»Warum dann das ganze Gejammere und Getue über Ihre Armut? Sie sind doch bald die Frau eines Arztes. Bis dahin könnte er Ihnen doch sicher etwas leihen.«
»Er ist genauso pleite wie ich.« Sie sah sich in dem schäbigen Zimmer um. »Denken Sie, er würde sonst so
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