Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
das Zittern, Schnauben und Fließen von Speichel nach Einnahme weniger Drogen beobachtet. Da Souza mir gesagt hatte, dass Mainwaring Jamey mit Psychopharmaka behandelte, machte ich mir eine Notiz, um der Sache weiter nachzugehen und nach Art der Mittel und ihrer Dosierung zu fragen.
Jamey begann nun, laut zu schnarchen. Je tiefer er in Schlaf sank, desto weicher wurden seine Glieder, es kam mir vor, als fingen seine Knochen an zu schmelzen. Sein Atem ging inzwischen langsamer. Ich behielt in der noch verbleibenden Zeit meine Hand auf seiner Schulter und redete beruhigend auf ihn ein, in der Hoffnung, dass er bei all seiner Starre ein wenig Erleichterung finden würde.
Als die Stunde vorüber war, kamen pünktlich die Beamten, nahmen ihn mit und brachten ihn in seine Zelle zurück.
Sergeant Koocher wies Sonnenschein an, mich zum Ausgang zu begleiten.
»Jetzt verstehe ich, was Sie sagen wollten, als Sie mir viel Glück wünschten«, sagte ich beim Hinausgehen.
»Ja.«
»Ist er oft in diesem Zustand?«
»Meistens. Manchmal weint er auch oder schreit. Im Allgemeinen sitzt er nur da und starrt vor sich hin, bis er einschläft.«
»War er schon so, als er eingeliefert wurde?«
»Er war voll gepumpt mit Drogen, als sie ihn vor ein paar Tagen brachten. Wir mussten ihn sogar fesseln. Aber dann dauerte es nicht lange, und er fing an dahinzudämmern, so wie jetzt.«
»Gibt es jemanden, mit dem er redet?«
»Das hab ich nicht erlebt.«
»Und sein Anwalt?«
»Souza? Ach, der zieht die große väterliche Show ab. Er legt den Arm um ihn, gibt ihm Saft zu trinken und stopft ihm Kekse rein. Cadmus strahlt ihn an, aber in Wirklichkeit kriegt er gar nichts mit.«
Wir gingen um eine Ecke und liefen beinahe in eine Gruppe von Gefangenen. Als sie Sonnenscheins Uniform sahen, wichen sie schnell zur Seite.
»Für seine Verhandlung ist das ja nur positiv.«
»Was?«, fragte ich.
»Dass er so - dass er mental gestört ist.«
Ihm entging nicht, dass ich überrascht war wegen seiner fachgerechten Ausdrucksweise. Er grinste und erklärte: »Ich studiere Psychologie, noch ein Jahr bis zum Diplom. Die Arbeit hier hat mich neugierig gemacht.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, dann wollen Sie sagen, dass Cadmus verrückt spielt, damit er für unzurechnungsfähig erklärt wird.«
Er zuckte die Schultern. »Sie sind der Arzt.«
»Aber was meinen Sie, einfach nur so?«
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete.
»Schwer zu sagen. Bei manchen merke ich sofort, was los ist, sie sind leicht zu durchschauen. Kaum sind sie hier, fangen sie an, uns wer weiß was vorzumachen. Aber sie übertreiben, weil sie gar nicht wissen, was Psychosen sind. Sie kennen das nur aus der Glotze, von Videos und Gangsterfilmen.«
»Die Krankheit, mit der man sich vor dem Knast drücken kann.«
»Genau. Cadmus zieht diese primitive Nummer nicht ab, andererseits, er war doch früher so eine Art Genie, also spielt er das Spiel vielleicht einfach nur besser als die anderen.«
»Sie sagten, dass er manchmal laut schreit. Was sagt er dann?«
»Nichts. Er äußert kein einziges Wort, er schreit nur, wie ein angeschossenes Tier.«
»Wenn er in der nächsten Zeit irgendetwas sagt, könnten Sie es dann aufschreiben und mir geben, wenn ich wiederkomme?«
»Das ist unmöglich, Doktor. Wenn ich Ihnen was erzähle, dann will es auch die Gefängnisleitung wissen. Schließlich fragen mich alle. Dann muss ich hier nachforschen für jeden, der fragt, und kann meiner eigentlichen Arbeit nicht mehr nachgehen.«
»Ist schon gut«, sagte ich, »war nur eine Frage.«
»Hat mir nichts ausgemacht.«
»Ich würde Sie gern etwas anderes fragen. Existiert so etwas wie ein Buch, in dem das Verhalten der Gefangenen im Sicherheitstrakt festgehalten wird?«
»Ja, so was gibt’s. Besondere Vorfälle, ungewöhnliche Ereignisse werden dort reingeschrieben. Aber Schreien allein ist nicht weiter Aufsehen erregend. Es gibt Nächte, in denen man nichts hört als Schreien.«
Wir waren beim Aufzug angekommen.
»Mögen Sie Ihre Arbeit?«, fragte er.
»Im Allgemeinen schon.«
»Wird es nicht mit der Zeit langweilig?«
»Ich finde es nach wie vor interessant, sehr sogar.«
»Freut mich zu hören. Ich fand das Psychologiestudium wirklich aufregend, besonders alles, was mit abweichendem Verhalten zu tun hat. Aber wenn ich das Diplom machen will, kostet mich das viel Mühe so neben der normalen Arbeit. Deshalb habe ich in letzter Zeit alle Psychiater, denen ich begegnet bin, gefragt,
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